: „Kurzfristiges Denken führt zu Unsinn“
■ Oberbaudirektor Egbert Kossaks politische Bilanz nach zwölf Jahren Dienstzeit
Die Abrechnung präsentiert sich im protzigen Vierfarb-Look und kostet die stattliche Summe von 68 Märkerchen. Dafür wird, nicht nur mit üppigem Fotomaterial, kräftig geklotzt. Egbert Kossak, Hamburgs Oberbaudirektor, keilt auf 192 Seiten kräftig gegen seine politischen Arbeitgeber. Sein Fazit aus zwölf Jahren im Dienste der Vaterstadt: „Politik und Wirtschaft in Hamburg mangelt es an konzeptionellen Auseinandersetzungen mit der Zukunft“. Und, frei nach Jacques Cousteau: „Kurzfristiges Denken führt zu Unsinn; in seiner Konsequenz zu einer unendlichen Folge von Unsinn.“
Der Chefplaner aus der Stadtentwicklungsbehörde konterkariert damit die derzeitig geltende Senatslinie (Käpt'n Voscherau: „auf Sicht segeln“), die auch von Kos-saks neuem Chef und Voscherau-Spezi, Stadtentwicklungssenator Thomas Mirow, favorisiert wird. Ohne die beiden oder auch nur seinen Intimfeind, Ex-Chef und Bausenator Eugen Wagner beim Namen zu nennen, kritisiert der Oberbaudirektor (Behördendeckname „Napoleon“) die zentralen Punkte ihrer Polit-Konzeption.
Die „nur bedingt funktionsfähige“ Stadtentwicklungspolitik zeige sich „besonders in der Wohnungspolitik“. Hamburgs Wohnungsnot sei ein Ergebnis jener nur kurzfristig angelegten Polit-Struktur, die nicht zukunftsorientiert vorsorge, sondern je nach aktueller Lage – Wohnungsmangel, Wohnungsüberschuß – kurzfristig und damit zumeist falsch reagiere.
Auch am Schnittpunkt von Wohnungsbau- und Verkehrspolitik habe die Politik gänzlich versagt: „Ein grundsätzliches Umsteuern bei der Stellplatzverordnung“ sei ebenso versäumt worden wie die Bevorzugung des Öffentlichen Personen-Nahverkehrs gegenüber dem Individualverkehr.
Auch an des Bürgermeisters persönlichen Polit-Steckenpferden übt Kossak heftig Kritik. Beispiel Hafenstraße: „Eine Metropole, die eine Minderheit von aufsässigen oder einfach nur nach eigenen Werten leben wollenden Menschen wie in der St. Pauli Hafenstraße nicht mit friedlichen Mitteln integrieren, einen besonderen Lebensraum nicht großzügig bereitstellen kann, wird kaum (...) Anziehungskraft auf kreative, innovationsfähige Menschen ausüben.“ Bong, das dürfte nicht gerade dem Denkansatz von Law-and-Order-Voscherau entsprechen.
Aber keine Bange. Kossak wird noch deutlicher: „Die Auseinandersetzungen um solche eroberten Freiräume wie an der Hafenstraße, am Schulterblatt, in Ottensen oder im Karolinenviertel zeigen, daß staatlicher Ordnungswille mehr sozialen Frieden stiften würde, wenn er stärker von Toleranz und Improvisationsbereitschaft geleitet wäre als von sturer, kompromißloser, staatlicher Rechthaberei.“ Wer könnte damit nur gemeint sein?
Nicht minder herb, wenn auch ein wenig versteckter, die Kritik an Voscheraus Verwaltungsreform. Sie dürfe sich nicht (wie derzeit vorgesehen, red.) darauf beschränken, politische Zuständigkeiten von der einen auf die andere Ebene umzuverteilen. Kossak fordert statt dessen, kleine steuerbare Verwaltungseinheiten und eine „Veränderung des Rollenverständnisses fort von der hoheitlichen Verwaltung hin zum öffentlichen Dienstleistungsunternehmen“ – eine Abkehr von der „allseits verbreiteten Status-quo-Mentalität in Politik und Verwaltung, die viel Energie darauf verwendet, jede Veränderung zu verhindern“.
Änderungen, die der selbsternannte Querdenker auch bei den sogenannten harten Standortfaktoren, Beispiel Wirtschaftsförderung, einklagt. Nötig sei „eine Neubewertung der bisher dominant geförderten Wirtschaftsbereiche Hafen, Schiffahrt, Verkehr, Lagerei sowie der Grundstoffindustrie“.
Eine Wirtschaftsförderungs-Hackordnung, die Voscherau im Kooperationsvertrag mit der Statt Partei gerade hat zementieren lassen . Uli Exner
Nachzulesen in: Egbert Kossak, Hamburg - Stadt im Überfluß, Hamburg 1993, Verlag Ellert und Richter.
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