„Sie sah aus wie Quasimodos Tochter“

■ Bewährungsstrafe für 38jährige Frau, die ihren Lebenspartner erstach und damit ein jahrelanges Beziehungsmartyrium von Schlägen und Alkohol beendete

Mit tränenerstickter Stimme beteuerte die Angeklagte ihren Richtern immer wieder: „Ich kann nur sagen, daß ich es nicht wollte. Ich weeß ooch nicht, wie es dazu gekommen ist.“ Im vergangenen Januar hat die 38jährige Sozialhilfeempfängerin Elvira G. ihren Lebensgefährten Norbert M. in ihrer Wohnung in Friedrichshain mit einem Pfadfindermesser tödlich verletzt. Die 18 Zentimeter lange Klinge war so tief in den Körper des Mannes gedrungen, daß sie die Baucharterie durchstoßen hatte. Der 41jährige Mann starb wenige Stunden später.

Elvira G. wurde gestern von der 31. Strafkammer des Landgerichts wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Das Gericht unter dem Vorsitzenden Hartmut Füllgraf wertete zu ihren Gunsten, daß sie von dem gewalttätigen Lebenspartner im Verlaufe der mehrjährigen Beziehung aufs schwerste mißhandelt wurde, wenn er sternhagelvoll war. Elvira G. und Norbert M. hatten sich 1988 kennengelernt. Sie hatte bereits mehrere gescheiterte Ehen hinter sich, aus denen zwei Kinder hervorgegangen waren. Eins wohnt beim Vater, das andere war ihr von der DDR-Familienfürsorge wegen angeblichen asozialen Verhaltens weggenommen und ins Heim gesteckt worden. Auch ihr Freund war zuvor schon einmal verheiratet und hatte zwei Kinder, für die seine frühere Frau sorgte.

Norbert M. lebte ausschließlich auf Elvira G.s Kosten. Ein Großteil ihrer Sozialhilfe ging für Alkohol drauf, notfalls schickte er sie zum Schnapsklauen. Die Flaschen leerten sie beide zusammen, denn auch sie wurde nun mehr und mehr zur Alkoholikerin. Wenn er randvoll war, setzte es Tritte und Prügel. „Sie bekam von ihm unwahrscheinliche Schläge“, berichtete eine Nachbarin als Zeugin. Bis in ihre Wohnung habe sie die Wucht der Prügel gehört. Häufig sei Elvira G.s Gesicht danach so verschwollen gewesen, daß sie diese kaum wiedererkannte: „Sie sah aus wie Quasimodos Tochter.“ Auf die Frage des Gerichts, warum sie nicht die Polizei geholt habe, antwortete die Zeugin, Elvira G. habe dies aus Angst vor den Folgen abgelehnt. „Da habe ich ihr gesagt: Macht doch euer Ding alleine“, erklärte die Nachbarin. Und somit unternahm sie fortan nichts, wenn Norbert M. wieder einmal sternhagelvoll die Wohnungstür eintrat und brüllte: „Ich bring' dich um.“

Das sympathische Gesicht der blonden Angeklagten ist deutlich vom starken Alkoholkonsum gezeichnet. Warum sie sich von dem gewalttätigen Mann nicht getrennt habe, fragte der Vorsitzende Füllgraf. Die Antwort kam zögerlich: „Wenn er nüscht getrunken hat, war er ein feiner Kerl.“ Was war denn so fein an ihm? „Er hat was hergemacht: eine große Fresse.“

Ganz tatenlos ergeben hatte sich Elvira G. ihrem Schicksal allerdings nicht. Gleich nach der Wende versuchte sie zusammen mit Norbert M. als Übersiedler in einem bayrischen Dorf von vorn anzufangen. Anfang 1991 saßen sie jedoch wieder in ihrer alten Wohnung in Friedrichshain. Er habe sich nicht um Arbeit gekümmert und die meiste Zeit im Hotel mit anderen Übersiedlern gesoffen, begründete Elvira G. die Rückkehr. Ein solches Verhalten hat der vom Gericht als psychiatrischer Sachverständiger benannte Neurologe Edward Meier bei vielen Ex-DDRlern beobachtet: „Die Wende hat sie eher erschreckt zurückweichen lassen.“

Zu der Tat war es am späten Vormittag nach einer durchzechten Nacht gekommen. Im Nebenzimmer schlief der 47jährige Würstchenhändler Heinz K.: ein gemeinsamer Freund des Paares, der beim Trinken nicht so ein Standvermögen gezeigt hatte. Zur Polizei hatte Elvira G. nach der Tat gesagt, Norbert M. habe ihr wieder einmal vorgeworfen, daß sie eine Rabenmutter sei. Später schlug er ihr mit dem Knauf seines Pfadfindermessers eine blutende Wunde am Kopf. Da entriß sie ihm das Messer und stach zu. Als Norbert M. zusammenbrach, stürzte sie tränenüberströmt hinunter in die Gastwirtschaft und alarmierte die Polizei.

Während des gesamten Prozesses erhellte sich die Miene der Angeklagten nur einmal kurz. Als der Würstchenhändler Heinz K. in den Zeugenstand trat. Er hatte sie regelmäßig in der Haft besucht und bestätigte auf Frage des Richters: Er und sie wollten fortan zusammensein. „Wir wollen uns mit Blumen selbständig machen.“ In der Urteilsbegründung legte Richter Füllgraf der Angeklagten eine Entziehungskur ans Herz. Daß sie die Tat wiederhole, sei jedoch nicht zu erwarten. Denn ein solches Handeln sei ihr wesensfremd. Zudem habe der neue Lebenspartner vor Gericht nicht so gewirkt, als sei er ein aggressiver Mensch. Dann wandte sich Füllgraf direkt an den im Zuschauerraum sitzenden Würstchenhändler: Wenn er wolle, könne er Elvira G. in zwei Stunden an der Haftanstalt abholen. Die Antwort der beiden war ein zaghaftes Lächeln. Plutonia Plarre