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Sie schreien nicht und kommen trotzdem

„Junge Regisseure“, von Haußmann bis Weber: Portraits einer neuen Generation aus dem Hause Fischer  ■ Von Petra Kohse

Als Leander Haußmann im Herbst dieses Jahres zum Intendanten des Bochumer Schauspielhauses ab der Spielzeit 1995/96 berufen wurde, kam von verschiedenen Seiten große Skepsis auf. Einige gute Inszenierungen hat er ja gemacht, der Junge, aber gleich Intendant – ja kann der denn das, ist der nicht zu jung? Der 34jährige Haußmann reagierte darauf überaus aggressiv und das mit Recht. Schließlich war Peter Stein 33, als er die künstlerische Leitung der Schaubühne am Halleschen Ufer übernahm, Claus Peymann 37, als er das Stuttgarter Staatstheater leitete, und Jürgen Flimm wurde mit 32 Oberspielleiter am Thalia Theater in Hamburg.

Allerdings waren die 70er Jahre auch ganz generell eine Zeit des Aufbruchs im Theater. Die damals jungen Theatermacher traten ungeplant als Gruppe auf, trieben dem Publikum mit ihren von Regiekonzeptionen bestimmten Inszenierungen den sogenannten Reichskanzleistil der Gründgens- und Stroux-Generation endgültig aus und eroberten sich die Leitungsebenen. Ein Generationswechsel fand statt. In einem vergleichbar spektakulären Maße kann davon heute nicht die Rede sein. Ein ästhetischer Paradigmenwechsel vollzieht sich zwar auch jetzt wieder, aber – schleichend, dispers und im Rahmen der bestehenden Institutionen. Denn daß in nächster Zeit auch strukturelle Veränderungen im Theater anstehen hat finanzielle Gründe und mit der Suche nach alternativen Modellen wie in den 70er Jahren nichts zu tun.

Kein Wunder also, wenn Jugend heute nicht automatisch als Qualität angesehen, sondern eher mit Unfertigkeit konnotiert wird. Ein Fehler ist das trotzdem, denn mittlerweile ist gerade die Suche nach einem jeweils adäquaten Ausdruck zum Ziel geworden. Das ist eines der wenigen Dinge, das die Regisseure um 30 verbindet, wie sich auch auf zwei Symposien im letzten und vorletzten Jahr in Hannover herauskristallisierte. Gemeinsam ist den jüngeren Regisseuren aus Ost und West, von Thirza Bruncken über Matthias Fontheim, Matthias Hartmann, Leander Haußmann, Andreas Kriegenburg, Amelie Niermeyer, Christian Stückl bis hin zu Anselm Weber außerdem nur noch zweierlei: der Wunsch nach kontinuierlicher Arbeit mit einem Ensemble (als Abgrenzung zum Jet-Set-Dasein vieler Alt-Regisseure) und eine zunehmende Konzentration auf den Schauspieler. Das läßt sich dadurch erklären, daß klar konturierbare ideologische Angriffsflächen heute fehlen. Auch stilistische Konventionen gibt es kaum noch zu durchbrechen – das Konzepttheater hat abgewirtschaftet. Was zählt ist das Individuum, der Einzelfall.

Das bedeutet aber keine Abkehr von einem politischen Anspruch, vielleicht nur eine Feineinstellung des Begriffs Politik auf dem Theater. In einer Zeit, in der wesentliche humanistische Positionen bei den Theatergängern als Konsens angesehen werden dürfen, muß eine politische Bewußtseinsbildung ja im privaten, zwischenmenschlichen Bereich anfangen. Peter Sellars beispielsweise, der in seiner Golfkriegs-Adaption von Aischylos' „Persern“ in Salzburg und Berlin zwei Stunden lang auf der Bühne verlautbaren ließ, daß Krieg furchtbar ist, zeigte deutlich, welcher Weg auf dem Theater nicht mehr gangbar ist.

Gerade das, was die neue Generation von Regisseuren aber verbindet, ist das, was sie als Generation nach außen hin nicht dezidiert ins Bewußtsein bringt. Zwischen Dresden und Köln lauter Einzelschaffende, Subjektivisten, die keinen neuen Stil kreieren, sondern mit dem Erbe der Vätergeneration jonglieren.

Haußmann beispielsweise stellt die situativen Assoziationen von Frank Castorf und dessen expressive Schauspielerführung ganz in den Dienst der Figurenpsychologie. Wenn Susanne Böwe in seinem Berliner „Don Carlos“ als verschmähte Prinzessin von Eboli auf den Boden trampelt und „Scheiße“ schreit, wenn Dirk Nocker in der gleichen Inszenierung als Carlos ins Publikum springt, nachdem er einen Brief seiner geliebten Stiefmutter Elisabeth erhalten hat, und wenn er dreimal abgeht nach einem schwierigen Gespräch, dann sind das keine Sperenzchen, sondern Beispiele eines neuen, drastisch sinnlichen Realismus, der am und fürs Individuum entwickelt wurde.

Ein einziges Hauptthema läßt sich in Haußmanns Arbeiten nicht feststellen. Das Konzept wird vom Text bestimmt und von den Ideen zu den einzelnen Szenen. Andere, wie Thirza Bruncken, arbeiten lieber mit modernen Texten oder prassen weniger gerne mit den Möglichkeiten des Theaterapparates, sondern reduzieren die Mittel wie Anselm Weber. Einen Kanon gibt es nicht.

Einen Querschnitt durch das, was heutzutage auf dem Theater versucht wird, bietet der neue Band in der Reihe „Regie im Theater“ mit acht Regie-Portraits von Anke Roeder und Sven Ricklefs. Angehängt wurde ein verdichtetes Protokoll der beiden Symposien in Hannover, das die einzelnen Positionen in ihrer ganzen Bandbreite noch einmal im O-Ton verdeutlicht. Diese Publikation thematisiert als erste den unauffälligen ästhetischen Paradigmenwechsel bei den Regisseuren und Regisseurinnen um die 30. Und sie hebt sich positiv von allen bisher erschienenen Bänden der Reihe ab: Prägnante Portraits statt langwieriger und unergiebiger Interviews mit den Regisseuren. Keine Lobhudeleien von Mitarbeitern, keine Mystifizierungen des Selbstverständlichen. Die Kürze der einzelnen Beiträge ermöglicht, sich selbst ein vergleichendes Bild zu machen. Einige Inszenierungen werden charakterisiert, es folgen grundlegend Beschreibendes und Analytisches zur Regiepersönlichkeit, dann Werkverzeichnis und Punkt.

Im Vorwort zitiert C. Bernd Sucher Matthias Hartmann: „Wenn Jürgen Flimm schreit, es gibt keine Jugend, weil sie nicht genauso wie die 68er Generation die Institutionen stürmt, weil wir nicht sagen ,Jürgen, wir kommen!‘, dann ist das eine Projektion auf Nachwuchsregisseure, die es ihm nicht erlaubt zu gucken, was eigentlich los ist.“ Anke Roeder und Sven Ricklefs haben, anders als Flimm, genau hingeguckt und das, was sie gesehen haben, erkenntnisfördernd aufbereitet.

Anke Roeder/Sven Ricklefs: „Junge Regisseure“ in der Reihe „Regie im Theater“; 156 Seiten, Fischer Verlag, 19,90 DM

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