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Teufel im (Affekt-) Detail

Warum wollen Mädchen einen Cowboy als Mann? Jungs Porno gucken? Jessica Benjamin sucht Antworten und bastelt nebenbei an einer feministischen Psychoanalyse  ■ Von Elke Brüns

Psychoanalytikerin und zugleich Feministin müßte man sein, dann könnte man Himmel und Hölle in Bewegung setzen; jedenfalls scheint diese Hoffnung Jessica Benjamins Studien zu „Phantasie und Geschlecht“ geleitet zu haben. Wie entstehen Phantasien über das eigene und das andere Geschlecht? Das ist die Frage, der die Autorin in sechs neuen Beiträgen nachgeht.

Die Entwicklung zu dem, was Frau und Mann genannt wird, begründet sich nicht im anatomischen Unterschied, soviel ist seit Freud klar, sondern nimmt ihren Ausgangspunkt in der psychischen Bisexualität – der Fähigkeit und dem Wunsch des Menschen, sich mit beiden Geschlechtern zu identifizieren. Diesen neueren psychoanalytischen Ansatz sollte die feministische Kritik Benjamin zufolge aufgreifen, da er erlaubt, Geschlechtsidentitäten als prozessuale Entwicklungen zu sehen und deren festgelegte Bedeutungen zu dezentrieren. Daß auch die Autorin selbst „dezentriert“ ist, zeigen schon die Titel der einzelnen Aufsätze, wo die Koordinaten des „Schreibortes Feminismus und Psychoanalyse“ deutlich werden: „Wer hörte mich denn von den Engeln?“ fragt elegisch mit Rilke die Psychoanalytikerin; während sie sich so als eine aus der „Engel Ordnungen“ imaginiert, fordert die Feministin zum politisch brisanten Thema Pornographie hingegen „sympathy for the devil“.

Der Selbstphantasien sind zum Glück viele, und die Aufsätze beschreiben eher irdisch „die innere Landschaft, auf der die Eltern, die Analytikerin und das Selbst sich als bewegliche Sphären vorstellen lassen“. Das Selbst kommt in Bewegung, indem es sich identifiziert. Phantasien über das eigene und das andere Geschlecht – Selbst- und Fremdbilder – entstehen weder jenseits der realen Geschlechterverhältnisse, noch bilden sich diese im 1:1-Verhältnis in der Psyche ab. Benjamin verfolgt die Stadien bis zur Geschlechtsidentität entlang der Momente Identifikation, Anerkennung, Idealisierung und Differenz. Sie versteht diesen Prozeß als ein dynamisches Wechselspiel von realer Erfahrung und subjektiver Phantasie. Das Kind möchte ursprünglich alles haben und alles sein und nutzt deshalb Identifizierungen über die Geschlechtergrenzen hinweg, um Bilder über das Selbst und die/den andere(n) zu formen. Erst die ödipale Situation führt zur Festlegung auf eine geschlechtliche Identität, und es ist die vorangegangene gegengeschlechtliche Identifizierung, die das Kind im Idealfall befähigt, in der Anerkennung dieser Differenz das andere Geschlecht weder idealisieren noch abwerten zu müssen.

Benjamin versteht ihren Ansatz als Gegenentwurf zur „postmodernen feministischen Position“, die die Theorie Lacans adaptiert. So gelangt das Mädchen zu seiner Identität als Frau nicht etwa, weil sie – mit einem ewigen Mangel geschlagen – den zentralsignifikanten Phallus beziehungsweise (symbolischen) Vater begehrt, sondern indem sie sich neben der Mutter auch mit dem real existierenden Vater identifiziert. Erst in der Identifikation mit einem Vater, der für das Mädchen in bestimmten Entwicklungsmomenten Freiheit und Begehren repräsentiert, macht es sich selbst zu einem Subjekt des Begehrens. Verweigert der Vater sich ihm als Identifikationsobjekt – weil er abwesend ist oder das Mädchen nicht als begehrendes und damit ihm gleiches Subjekt anerkennt –, wird es später als Frau zu „unterwürfigen Beziehungen mit Männern neigen, zur Wahrnehmung von Männern als zu weit außerhalb, als unerreichbares Ideal“. Männer werden idealisiert, da sie Aspekte des Selbst repräsentieren, die frau auch gerne haben würde, aber eben nicht identifikatorisch für sich verinnerlichen konnte: Die Frau will dann den Cowboy als Mann.

Obwohl Benjamin betont, daß die Herausbildung differenter, aber gleichberechtigter Subjektivitäten durch traditionelle Elternarrangements – die Mutter repräsentiert Fürsorglichkeit, Bindung und Selbstaufgabe, der Vater Begehren, Selbstbewußtsein und Autonomie – für beide Geschlechter erschwert wird, sieht sie die Lösung nicht in der Veränderung der sozialen Geschlechterrollen und der damit verbundenen Arbeitsteilung. Sie möchte statt dessen den spannungsvollen Bezug von Phantasie und Realität gewahrt wissen, der in unserer Kultur permanent zusammenzubrechen droht. Die Grenze von Phantasie und Wirklichkeit kann dann bestehen bleiben, wenn neben die Allmachtsphantasie des Kindes die Erfahrung realer anderer in der Wirklichkeit tritt. Kann die zunächst allmächtige Mutter ihre Zerstörung in der Phantasie des Kindes nicht durch ihre vorhandene reale Subjektivität auffangen, wird sie zu einem „gefürchteten und entwerteten Objekt, das schon aus Furcht vor Rache kontrolliert werden muß“.

Benjamin beschreibt mit der freischwebenden Aufmerksamkeit und wertfreien Freundlichkeit der Psychoanalytikerin, die die schrecklichen Dämonen und seelenquälerischen Abgründe der intrapsychischen Theorie mit ihren dramatischen Inszenierungen manchmal vermissen läßt. Richtig spannend wird es immer dann, wenn hinter dieser Haltung Affekte durchschimmern, wenn die Freundlichkeit der gegenseitigen Anerkennung, die Benjamin paradigmatisch in der Übertragungsbeziehung zwischen Psychoanalytikerin und Analysandin realisiert sieht, zusammenbricht oder auf die Probe gestellt wird. Im niederen politischen Handgemenge über Gewalt und Pornographie wird sie daher auch schon mal polemischer: Der Teufel, der hier (sympathischerweise) am Werk ist, sitzt im Affektdetail. So nennt Benjamin die Mißbrauchsbeschreibung der Pornographiegegnerin Andrea Dworkin zwar „eloquent“, vermutet aber, der erlittene Mißbrauch mache Dworkin unfähig, die Beteiligung von Müttern mitzudenken. (Befähigt also erst das Nicht-mißbraucht-Werden zur richtigen Einschätzung des Themas?) Benjamin beharrt zwar auf der oft vernachlässigten Trennung von Phantasie und realer Sexualpraxis, macht aber dann ausgerechnet die von Dworkin ausgeblendete Mutter zur Schuldigen. Sie scheint zu glauben, es sei letztlich die imaginierte Allmacht der Mutter, die – durch keine reale Subjektivität begrenzt – als gewalttätige Aggression gegen Frauen in der Pornographie wieder auftaucht. Symptomatisch dafür, daß Benjamins Ansatz hier an seine Grenzen stößt: das plötzliche Auftauchen des Todestriebes, der anscheinend immer dann bemüht werden muß, wenn die Engel der Psychoanalyse sich mit dem Bösen – der Destruktivität – konfrontiert sehen. Es scheint am Ende leider doch, als ob sich in Benjamins Bemühen, Partei für die verteufelte Sexualität zu nehmen, die Psychoanalytikerin und die Feministin beim Betreten der Geschlechterhölle gegenseitig in die Quere kommen. Vielleicht bringt sie doch als alles verstehende Psychoanalytikerin hier zuviel Engelsgeduld auf.

Wenn Benjamin auch die Entwicklung zur Geschlechtsidentität auf die Eltern-Kind-Beziehung beschränkt und symbolische wie soziologische Aspekte in der Entstehung der damit verbundenen Bilder weitestgehend ausklammert, so ist ihr Szenario der Identifikationen doch eine notwendige Erweiterung feministischer Theorie. Es winkt als Belohnung u.a. die Idee, daß homo oder hetero zu lieben weniger an das Geschlecht des begehrten Objekts gebunden ist, sondern eher der aktuellen Identifizierung mit bestimmten Fixpunkten auf der inneren Landkarte entspricht. Ein Konzept, das nicht nur etliche Grabenkämpfe vermeiden helfen könnte, sondern auch zur Abwechslung mal eine schöne Phantasie ist.

Jessica Benjamin: „Phantasie und Geschlecht. Psychoanalytische Studien über Idealisierung, Anerkennung und Differenz“. Aus dem Englischen von Helgard Kramer, Verlag Stroemfeld/Nexus 1993, 169 Seiten, 38 DM

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