: Großer Kehraus
■ Betr.: „Eco-Correctness“ (Öko lumne von Caroline Fetscher), taz vom 24.12.93
Über den Rundumschlag habe ich nicht schlecht gestaunt. Da werde ich zunächst belehrt, daß ein politisch-historisch-sozialer Unterschied zwischen Raubbau hier und Raubbau dort bestehe. Ich will doch hoffen, daß der Wald es zu würdigen weiß, wenn er aus politisch korrekter Motivation gerettet wird. (Kleine politisch-historisch- soziale Anmerkung: Es gab trotz gegenteiligem Medien-Rhabarber übrigens nie einen „Mega-Ökogipfel“ in Rio; das „D“ in „UNCED“ steht für „Development“, also Entwicklung. Unschwer läßt sich erraten, welcher Begriff für die Mehrzahl der Teilnehmerstaaten im Zentrum der Konferenz stand).
Dann erfahre ich, daß „Ökologie“ biologisch dem Kernobst zuzurechnen ist, innen voller Rassismus sitzt und bislang von einem „dünnen politischen Gewand“ verhüllt war – Donnerwetter. Schließlich schimmert auch der Kern (um beim Obst zu bleiben) der Ökolumne durch wild wucherndes Wortgewirr – Vorsicht, nicht zum Verzehr geeignet: Außer „den“ Ökologen im allgemeinen und Greenpeace im besonderen fallen dem großen Kehraus nebst Zimmermanns „XY“ auch Bednarz und „Monitor“ zum Opfer. Ein paar Zeilen mehr, und es hätte auch noch den Papst, Ulrich Wickert und den Melitta-Mann erwischt, oder eine x-beliebige andere Person. Merry Irgendwas.
Zu schade, daß die Früchte dieser weihnachtlichen Denkbemühungen derart ungenießbar geraten sind. Greenpeace eine Sekte? Ich habe siebeneinhalb Jahre dort gearbeitet und müßte es wissen. Das Gegenteil ist der Fall. Kein Guru, keine Gebote helfen da dem sinnsuchenden Individuum, das im übrigen jederzeit gehen darf. Zehn Greenpeacer, elf Meinungen – das kommt der Wahrheit bedeutend näher.
Kluge Menschen in den Reihen der erwähnten Organisation, und nicht nur dort, haben längst erkannt, daß man mit etwas Öko- Kosmetik am Spätkapitalismus wahrlich keinen Tropenwald gewinnen kann. Aber Denken tut weh, und der Schritt vom Aktivismus zum politischen Diskurs fällt schwer (umgekehrt ist es übrigens genauso). Auch bei Umweltschützers gibt es, ganz wie im richtigen Leben, einen gewissen Bodensatz von politischen Abstinenzlern, verkappten Spießern und grünen Schönrednern. Mir scheint überdies, daß es heute nicht nur „den“ Ökologen, wer immer das sein mag, an großformatigen Weltbildern mit selbstgedrechseltem Handlungsrahmen gebricht.
Uns droht weit größeres Ungemach als ein Bednarz-Bericht über unappetitlich hergestellte Gelatine. Es wird in der Tat Zeit, daß „die Ökologen“ in aller Deutlichkeit klarstellen, daß sie auf deutschnationale Dünnbrettbohrer in ihren Reihen frohen Herzens verzichten – mitsamt deren Spendengeldern. Grundvoraussetzung dafür ist aber, daß sich Umweltaktivisten selbst Rechenschaft über die Motive und Konsequenzen ihres Tuns ablegen. Das ist riskant, aber notwendig.
Bleibt abschließend noch zu hoffen, daß im Jahre 1994 trotzdem keine Umweltgruppe zum bloßen Debattierklub verkomme; daß, bevor alles und jeder niedergeschrieben wird, sorgfältig gedacht und gewissenhaft formuliert werde; und daß das Schlagwort „politically correct“ so bald wie möglich auf dem Müllhaufen der Geschichte oder zumindest auf der Deponie Schönberg lande. Kerstin Eitner, Hamburg
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