Sanssouci
: Vorschlag

■ Heribert Sasse spielt Robert Schneiders „Dreck“ in Potsdam

„Gefördert vom Ministerium für Wirtschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg“ steht auf dem Programm-Faltblatt – ein schöner Druckfehler der Schiel & Sasse GmbH für Wirtschaft und Kultur, geboren sicher aus einem ungebrochenen Vertrauen ins eigene Konzept. Dieses aber nun tatsächlich gleich dem ganzen Land überzustülpen wäre doch etwas voreilig. Zumal nicht davon auszugehen ist, daß die Verbindung von Kultur und Wirtschaft immer so hochwertige Produkte hervorbringt wie in diesem Fall die Inszenierung von Robert Schneiders „Dreck“. Schließlich ist nicht jeder Künstler in der Lage, dem Partner aus der Wirtschaft auch ein Management-Know-how zur Verfügung zu stellen und die Kunst selbst dadurch vom Zwang, finanziell rentabel zu sein, freizuhalten, wie es Heribert Sasse kann: Der BMW-Vertragshändler Bernd Schiel finanziert seine Theaterprojekte und profitiert im Gegenzug von Sasses Erfahrung als Generalintendant der Staatlichen Bühnen Berlins, die er bis 1990 leitete.

Textgrundlage der ersten Theaterproduktion ist eine stark gekürzte Fassung von Robert Schneiders „Dreck“. Dieser Monolog eines aus dem Irak stammenden Rosenverkäufers wurde bei den Potsdamer Werkstatt-Tagen im letzten Jahr ausgezeichnet. Aufführungsort ist ein niedriger Backsteinbau auf dem Gelände des Babelsberger „Gewerbe im Park“: eine alte Maschinenhalle, die unter der Verwaltung der Stadt Potsdam seit kurzem kulturellen Zwecken zur Verfügung steht.

Foto: David Baltzer/Sequenz

„Dreck“ ist ein vertracktes Stück, in der Kunstfigur Sad vermischen sich zahlreiche Ausländer- und Inländer-Klischees auf paradoxe Weise. Sad ist ein Golfkriegsdeserteur, der den westlichen Vorwurf der kulturellen Minderwertigkeit seiner Nation verinnerlicht hat und aus Liebe zum deutschen Wesen hierher kam. Seine Selbstachtung bezieht er gerade daraus, nicht so zu sein, wie der in all seiner Arroganz bewunderte „nordische Typ“. Zur Verzweiflung bringt ihn eher der Versuch von deutscher Seite, eine Brücke zu schlagen, wo keine ist. Daß ihn einer anlächelt, findet Sad infam. Daß man ihn hier duldet, obwohl er die verehrte deutsche Kultur doch allein durch sein So-Sein (dunkle Haut, dicker Hinterkopf, Knoblauchgestank) immerzu beschmutzt, versteht er nicht. Er geht sogar so weit, die Deutschen dazu aufzufordern, ihn und seine Kollegen umzubringen.

Kaum liegt der Schneidersche Sad aber derart bäuchlings vor Deutschland, dreht er sich auch auf den Rücken und triumphiert: Die Aggressivität gegen Ausländer offenbare doch nur die berechtigte Angst vor einer Invasion der „Hundemenschen“. Auf die Genugtuung folgt die Panik. Was, wenn das Land seiner kulturellen Utopie verschwände? Da schwingt er sich lieber selbst zum deutschnationalen Demagogen auf und predigt gegen die Halbherzigkeit und Feigheit an, Ausländer noch zu dulden: eine provokante Monologspirale, aus der einem die Fratze des direkten wie verbrämten Vorurteils entgegengrinst. Es ist eine radikale Absage an das „Wir sind alle Ausländer“-Gesumsel, ist eine Aufforderung, dem Fremden seine Fremdheit zu lassen, ohne ihn deswegen geringzuschätzen.

Heribert Sasse spielt den Sad in der Inszenierung von Ulrike Jackwerth enorm konzentriert und stimmlich ausgefeilt. Jede Einzelnuance der in sich ganz und gar nicht stimmigen Figurenpsychologie habe ich diesem Schauspieler geglaubt: den heimwehkranken Underdog, den stolzen Araber, den Faschisten. Das Timing dieser nur 80minütigen Aufführung stimmt. Pausen und Exaltationen sind genau ausgelotet. Sasse umkreist das Publikum brüllend, rückt ihm auf den Leib, sucht direkten Augenkontakt. Dann entzieht er sich wieder, schließt die Augen, kehrt zurück auf seine Bühne (eine Art Laufsteg aus Metallgittern wie über einem U-Bahn-Schacht), schweigt. Dann wirbt er erzählend scheinbar wieder um Verständnis, schlängelt sich ans Publikum heran, um bald darauf abermals vor ihm auszuspucken. Sasses Sad ist kraftvoll und verschlagen, seine Demut geht immer mit Hochmut einher.

Bei aller schauspielerischen Verve bleibt die ganze Veranstaltung angenehm unapodiktisch. Das ist das eigentliche Kunststück: Jackwerth und Sasse versuchen sich an keinem schlüssigen Gesamtzugriff auf die Figur. Sie deuteln nicht und moralisieren nicht. Sie machen ein Angebot. Sie irritieren. Petra Kohse

Noch bis 13.1. und von 1. bis 11.2., 20 Uhr, Kulturhaus im Gewerbe im Park, Ahornstraße 28–32, Potsdam-Babelsberg, Vorbestellung unter 629 06 50.