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Shylock und die Kreditkarte

Gleich und doch nicht gleich: Peter Zadeks „Kaufmann von Venedig“ hatte in einer „Berliner Fassung“ am Berliner Ensemble Premiere  ■ Von Petra Kohse

Der Jude Shylock führt einen reichen Haushalt in Venedig. Der Christ Antonio auch. Der Jude verkauft Geld. Der Christ Waren aus dem Ausland. Shylock liebt seine Tochter. Antonio liebt Bassanio. Antonio hat Freunde. Shylock nicht. Der eine ist groß, der andere eher klein. Der eine raucht, der andere nicht – zwei beliebige Geschäftsmänner, die sich genau insoweit unterscheiden, wie sich distinguierte Herren in Maßanzügen auf den ersten Blick eben unterscheiden können.

Und tatsächlich wendet sich Portia in Peter Zadeks Inszenierung des Shakespeareschen „Kaufmann von Venedig“ mit ihrer Frage „Ist Ihr Name Shylock?“ zuerst an Antonio, als sie im Gewand eines jungen Rechtsgelehrten auftritt, um den Streit zwischen den beiden zu schlichten. Denn Antonio ist Shylocks Schuldner und laut Kontrakt dazu verpflichtet, sich ein Pfund Fleisch aus den Rippen schneiden zu lassen. Ist diese Forderung grausam, der Jude also ein Unmensch?

Gert Voss zeigt Shylocks Rache in Zadeks Regie als einen Mechanismus. Ganz ruhig fordert er sein Pfand, das ihm nach dem Gesetz zusteht. Er hebt nicht die Stimme, wendet nicht den Blick. Er ist von keiner Leidenschaft getrieben außer der, zu prüfen, ob wenigstens vor den Paragraphen alle Menschen gleich sind oder nicht auch hier immer wieder die anderen gleicher als er. Einerseits. Andererseits ist er durch die Flucht seiner Tochter Jessica und ihrer Heirat mit einem Freund Antonios tief verletzt und will Rache – ein Vater, der seinen Schmerz eben durch despotisches Geschäftsgebaren kompensiert, wie es Väter gerne tun. Das ist eine spektakulär unspektakuläre Auffassung dieser theatergeschichtlich heiklen Figur. Vor dem Gesetz der Menschlichkeit ist Shylock im Unrecht. Doch dieses Gesetz wirkt im Berliner Ensemble ohnehin anachronistisch vor der Bürohauskulisse aus Metall und Glas (Bühne: Wilfried Minks) – kitschig, ja fast frivol in einer Welt, in der Menschen nur die Behältnisse für Kreditkarten sind und kaum jemals ohne Funktelefon auftreten.

Peter Zadek hat nicht nur die Shylock-Geschichte modern enttragödisiert, sondern den Akzent auch im Ganzen auf die komödiantischen Elemente gelegt. Uwe Bohm erhält als Narr Lancelot allen Freiraum zu (geprobt) extemporierten Conférencen, Urs Hefti trägt als sein blinder und vertrottelter Vater ein Schild mit der Aufschrift „Vietnamkriegs Veteran“ um den Hals, und mit den beiden Prinzen, die vergeblich um Portia freien (in Doppelrollen: Ignaz Kirchner, der sonst den Antonio spielt, und Voss) kommt waschechte Klamotte auf die Bühne.

Die Inszenierung ist fünf Jahre alt. Im Dezember 1988 hatte sie am Wiener Burgtheater Premiere. Auch in Berlin war sie als Gastspiel im vergangenen März schon zu sehen. Jetzt wurden zehn Rollen umbesetzt, und die „Berliner Fassung“ wird ins Repertoire des Berliner Ensembles übernommen. Besseres ist an diesem Haus derzeit nicht zu sehen. Was das Berlinische dieser Fassung anbelangt: Der neubesetzte Götz Schulte als Lorenzo ist ein Gewinn. Er zeigt genau die richtige Mischung aus hölzerner Verliebtheit und jovialer Jungdynamik, die offenläßt, ob Lorenzo Jessica nun nur wegen ihres Geldes liebt oder nicht. Wiebke Frost als Portias Dienerin Nerissa hingegen legt eine aufgesetzte Munterkeit an den Tag, die mir auf die Nerven ging. Ansonsten blieb den großen Rollen (neben den Genannten noch Eva Mattes als Portia und Paulus Manker als Antonio) ihre brillante Besetzung erhalten. In fast allen Teilen schien es mir, als ob ich tatsächlich die gleiche Inszenierung zum zweiten Mal sehen würde. Nur den Shylock von Gert Voss halte ich für noch zurückgenommener, als er mir in Erinnerung war. Beispielsweise als er zur Zwangstaufe verurteilt wird, weil er einem Venezianer nach dem Leben trachtete – da geht Voss einfach ab. Wenn ich mich nicht täusche, war dies in der „Wiener Fassung“ deutlich heftiger, aufbegehrender. Jetzt spielt er eine stille Resignation, die das Happy- End nicht weiter stört. Das ist glatter, aber auch eindringlicher.

„Der Kaufmann von Venedig“ von William Shakespeare. Regie: Peter Zadek, Bühne: Wilfried Minks, Malerei: Johannes Grützke. Mit Uwe Bohm, Wiebke Frost, Urs Hefti, Deborah Kaufmann, Ignaz Kirchner, Paulus Manker, Eva Mattes, Götz Schulte, Gert Voss u.a. Wieder am 11., 18.–20. und 30.1., 19.30 Uhr, Berliner Ensemble, Bertolt- Brecht-Platz 1, Mitte.

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