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Dichten nach Zahlen

■ Kein Zufall: Oulipos „Anstiftung zur Poesie“ am Donnerstag im Literaturhaus

Oulipo, die Pariser „Werkstatt für potentielle Literatur“, macht sich das Schreiben absichtlich schwer. Sie unterwerfen ihre Textproduktion mit mathematischen Regeln einem Formzwang, der der Sprache ungeahnte Möglichkeiten entlockt. Oulipisten bauen auf Vertauschung, Verdrehung und Auslassung von Wörtern und Buchstaben. So schrieb Georges Perec, Vorbild und Meister der Schule, einen Roman, der ohne ein einziges „e“ auskommt (La disparation).

Daß der eltitäre Autorenzirkel (zum Mitglied kann man nur ernannt werden!) auch 33 Jahre nach seiner Gründung keine Ermüdung zeigt, liegt sicher auch daran, daß seine Mitglieder, die jährlich ein Arbeitsessen abhalten, diese „ernsthafteste Sache der Welt“ mit viel Humor betreiben. Davon kann man sich überzeugen, wenn der in Paris lebende Amerikaner Harry Mathews und der Wahl-Berliner Oskar Pastior im Literaturhaus ihre Texte lesen. Oder besser inszenieren, denn beide sind Vortragskünstler. Durch ein Stipendium kam Mathews, der in seinen Romanen gerne höchst absurde Probleme löst (auch in seinem 1962 geschriebenen Debüt Umwandlungen, das jetzt erstmals auf deutsch vorliegt), 1991 nach Berlin - und zufällig lag seine Wohnung neben Pastiors. Ganz Oulipisten, begannen sie sofort, sich gegenseitig Texte zu widmen und zu übersetzen.

Unter dem Titel Anstiftung zur Poesie haben Heiner Boehncke, der die Lesung moderieren wird, und Bernd Kuhne ein Portrait herausgegeben, das Einblicke in Theorie und Praxis von Oulipo gibt: Der Band enthält Manifeste, Werkstatt-Berichte und erläutert die wichtigsten Schreibverfahren - von den „Stilübungen“ über Lipo- und Anagramme bis zum Palindrom. Daß viele der oulipistischen Werke auf deutsch vorliegen, ist ein Verdienst von Meister-Übersetzer Eugene Helmlé, dem schon die Ehre zuteil wurde, an den Sitzungen teilzunehmen, und wackeren Verlegern wie der Edition Plasma und dem manholt Verlag. reh

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