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Dumme Tabletten

■ Skandal um das rumänische Staatsfernsehen und die faschistische Vergangenheit / Fernsehchef trat zurück

Bukarest (taz) – Mit böse zusammengezogenen Brauen und wippendem Spitzbart wütet er jeden Samstag auf dem Bildschirm: gegen Ungarn, Roma, Juden, den Westen und alles Nicht-Rumänische. Seine „Tabletten“, seine wöchentlichen Kommentare, sind eine Orgie aus Dummheit, Aggressivität und faschistoider Ideologie.

Der Dramenschreiber Paul Everac pflegte seine Stücke einst dem „geliebten Genossen Ceaușescu“ zu widmen. Nach dem Sturz des Diktators veröffentlichte er ein faschistisches Manifest, in dem er gegen die Juden zu Felde zog und eine zeitgemäße „Endlösung“ der „Zigeunerfrage“ verlangte. Die Mittel: Ghettoisierung, Rassengesetze, Senkung der Geburtenrate. Anfang letzten Jahres wurde Paul Everac Präsident des rumänischen Staatsfernsehens.

Im Hintergrund mit Willen des Staatspräsidenten Ion Iliescu und offiziell von der Regierung eingesetzt, erfüllte er bislang treu den Auftrag, aus den Nachrichtensendungen Lesungen offizieller Kommuniqués zu machen. Doch im wohl größten Medienskandal des postkommunistischen Rumäniens ist Everac das Bauernopfer geworden – am Montag reichte er bei der Regierung seine Demission ein.

Elf Tage zuvor, am 30. Dezember, hatte das Fernsehen zur besten Sendezeit einen „Dokumentarfilm“ über die Exekution des Marschalls Ion Antonescu und die von den Kommunisten erzwungene Abdankung des Königs Michael am 30. Dezember 1947 gesendet. Antonescu hatte 1940 eine faschistische Militärdiktatur errichtet, sich mit Hitler verbündet und am Überfall auf die Sowjetunion teilgenommen. Juden und Roma hatte er in Arbeits- und Vernichtungslager deportieren lassen. 1944 wurde der Diktator unter Mithilfe des Königs gestürzt und am 1. Juni 1946 von den Kommunisten hingerichtet.

Das rumänische Fernsehen nun präsentierte Antonescu in seiner Sendung zum Jahresende als antikommunistischen Kämpfer für die Freiheit und Unabhängigkeit Rumäniens von der Sowjetunion. König Michael wird in dem Film als Schuldiger am Sturz des Marschalls und an der kommunistischen Machtergreifung gezeigt.

Produziert hat den „Dokumentarfilm“ nicht irgendeine Abteilung, sondern das Fernsehstudio der Regierung, die dieses als offizielles Propagandabüro nutzt. Leiter des Studio ist Mircea Hamza – zugleich Vizechef und Sprecher der faschistischen Partei „Groß-Rumänien“ (PRM). Die wiederum befindet sich in jener parlamentarischen Allianz aus neokommunistischen und extremistischen Parteien, die der Regierung eine Mehrheit sichern. PRM-Chef Corneliu Vadim Tudor, ein Ex-Securitate-Mitarbeiter, berüchtigter Lobhudler des Diktators Ceaușescu und notorischer Antisemit, erklärte die Sendung zur besten des Jahres und schlägt vor, sie zwecks „Erziehung des Volkes“ mehrmals zu wiederholen.

Geschichtsfälscher im Regierungsstudio

Noch am selben Abend löste die Sendung einen landesweiten medialen Entrüstungssturm aus, Oppositionsparteien protestierten in Presseerklärungen. Vereint wie selten, fordern die rumänischen Medien nun den Rücktritt Everacs. Der Skandal nimmt seinen Verlauf und wird dabei zum traurigen, aber symptomatischen Schauspiel über die allgemeine Amnesie, die Politiker, Intellektuelle und Gesellschaft in Rumänien gleichermaßen beherrscht.

Nicht nur Anhänger und Sympathisanten der Monarchie führten als Hauptanklagepunkt erbost an, die Person des Königs Michael sei das Opfer einer neokommunistischen Geschichtsfälschung. Der einstige Monarch lebt heute im Schweizer Exil und bemüht sich zumeist erfolglos um ein rumänisches Einreisevisum, mithin auch um die politische Rolle, die er im Lande gerne spielen würde. Um den Ex-König zu diskreditieren, so etwa die angesehene Oppositionszeitung Romania libera (Freies Rumänien), stempele das neokommunistische Iliescu-Regime ihn zum Schuldigen am Kommunismus. Andere einflußreiche Zeitungen kritisierten Everacs antidemokratisches Gedankengut, Mitarbeiter des Fernsehens führten ein erfolgreiches Referendum über die Absetzung Everacs durch. Begründung: Mit seinem Amateurismus habe er das Fernsehen zugrunde gerichtet.

Everac behauptete unterdessen, von dem Film nichts gewußt zu haben, und trat aus „Gründen internen und externen Drucks“ zurück. Die Regierung, die sich selbst als demokratisch bezeichnet, beteuert bis heute, von dem Film, der in ihrem Studio produziert wurde, keine Ahnung gehabt zu haben. Verantwortung zu übernehmen lehnt sie ab.

Die Medien feiern nun ihren Erfolg, die Parteien der demokratischen Opposition können ausnahmsweise einen Pluspunkt gegen den Staatspräsidenten notieren. Nur über eines ist immer noch so gut wie kein Wort gefallen: über den Versuch, den Hauptschuldigen an der Ermordung von mindestens 250.000 Juden und 35.000 Roma zu rehabilitieren, den Versuch, Antonescu, der von den Behörden der USA als Kriegsverbrecher betrachtet wird, zum neuen Nationalhelden zu stilisieren. Die wenigen Intellektuellen, die in den letzten Jahren ein vorsichtig-negatives Urteil über Antonescu gefällt haben, werden üblicherweise als „Feinde der Nation“ gebrandmarkt.

Straßen nach dem Faschisten benannt

Eine Gesellschaft zur Rehabilitierung Ion Antonescus verbucht als Erfolg, daß bereits zwei Dutzend Städte des Landes Straßen nach dem faschistischen Diktator benannt haben. Zum Gedenktag des antijüdischen Pogroms der „Eisernen Garde“ am 6. Januar 1941 zeigte das Fernsehen den greisen Bukarester Oberrabbiner Moses Rosen ausschließlich dabei, wie er den Namen Jirinowski stotternd aussprach. Der Rest des Interviews fiel dem Schnitt zum Opfer. Keno Verseck

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