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Wand und BodenFenster im Auge mit Kreuz

■ Kunst in Berlin jetzt: Erasmus Schröter, Fritz Balthaus und Clemens Mitscher

„In meiner Jugend war der freie Zugang zur europäischen Küste wegen Bauarbeiten verboten; man baute dort gerade einen Wall.“ Und folglich sah Paul Virilio das Meer zum ersten Mal im Sommer 1945: „Das Erscheinen des Meereshorizonts ist in der Tat keine beiläufige Erfahrung, sondern ein Bewußtseinsereignis mit ungeahnten Folgen.“ Zumal wenn diesem der Horizont des Atlantikwalls vorgeschoben ist. Bekanntermaßen begab sich Virilio in den frühen sechziger Jahren auf die Jagd nach den „grauen Formen“ der „Bunkerarchäologie“ entlang dem Kanal und der bretonischen Küste.

Erasmus Schröter ist diesen Weg von 1990 bis 1993 noch einmal gegangen, ebenfalls mit der Fotokamera zur Hand, zusätzlich aber ausgerüstet mit Halogenlicht und starken Reflektorenlampen, denen er farbige Folien vorblendete. Gegen den Abendhimmel der Küstenlandschaft tauchte er die Kriegsarchitektur in knallig- bunte Farben. Er beleuchtete die Außenwände der Betonunterstände pink, giftgrün, lila, knallgelb, rot oder türkisblau und erhellte die wenigen Öffnungen mit Halogenlicht. „Der Skandal des Bunkers“ (Virilio) wird hier zum Skandal des Technicolor, der weder in Apologie, noch in Kritik aufgeht. Vielmehr referiert er auf die fürchterlich ernsthafte, enorme Künstlichkeit einer Hollywoodschen Verpackungsästhetik. Der Effekt ist – entwaffnend. „Warbuilding I“, die großformatige, auf Plexiglas aufgezogene Cibachrom-Fotografie, erscheint als intensiv grünes Art-déco-Monument gegen den nachtblauen Himmel im Sand versinkend. California Dreaming schlechthin ist dagegen „Warbuilding VII“. Durch die pinkfarben bestrahlte, relativ offene und leichte Bunkerarchitektur sieht man das Küstenpanorama mit seiner Lichteragglomeration im Hintergrund. Ein anderes „Warbuilding II“ erinnert heftig an Erich Mendelsohns Einsteinturm in Potsdam. In tiefstem Lila erhebt sich der militärische Schutzraum hoch gegen das Meer, fünf balkonartige Schießscharten sind hell bestrahlt, gegen den Strand verschwindet der Koloß in den Dünen. Die eminente Künstlichkeit dieser Bunkerinszenierung zwingt die Betrachter nachgerade die Befestigungsanlagen als reine Architekturform wahrzunehmen; orientalische Wüstenforts, Amphitheater, Kinopaläste sind die Assoziationen, die zu Bedenken Anlaß geben. Am 6. Juni 1944 wurde der Atlantikwall in wenigen Stunden erobert.

„Bellum – Architektur des Krieges“, bis 19.2., Di-Sa, 14-19 Uhr, IM KABINETTT Galerie, Schönhauser Allee 8, Prenzlauer Berg

Licht ist auch das Material von Fritz Balthaus bei Vincenz Sala. Reflektiert und verschattet über quadratische und rechteckige Spiegel, die in raffinierter Zuordnung zur Lichtquelle der Narva Filmlampe unter die Decke gehängt sind, wirft es immaterielle Bilder an die weißen Galeriewände. Der bestrahlte Spiegel erscheint an der einen Wand als weißgleißendes Bild, auf der gegenüberliegenden Wand zeigt es seinen schwarzen Schatten.

Über das Zusammenspiel der Spiegel ergeben sich weiße Reflektionen auf weißer Wand, schwarze innerhalb weißer Rechtecke auf weißer Wand; die Wärme der Lampe bringt Luft und Spiegel in Schwingung, die Bilder flirren auf den Wänden. Der asketische, abstrakte weiße Kubus des Galerieraums erfährt eine eindrücklich heitere Verabsolutierung in diesem quasisuprematistischen Schatten-Licht- Fresko. Malewitschs „gegenstandslose Welt“ wird im Schattenriß seines „Schwarzen Quadrats“ zitiert – ironisiert? Aber ein dunkles, quer liegendes Rechteck, an das sich nahtlos ein weißgleißendes anfügt, weckt auch Assoziationen an den amerikanischen Abstract Expressionism eines Mark Rothko.

Deutlich wird, mit wie wenigen signifikanten Formen und Elementen Kunst und Kunstausstellung im 20. Jahrhundert arbeiten, gerade in der Auseinandersetzung mit dem Tafelbild. Der Reduktion visueller Phänomene, die genaue Beobachtung und großes wahrnehmungstechnisches Wissen verlangt, ging dieser Wissenserwerb notwendigerweise voraus. Albrecht Dürer und einige holländische Zeitgenossen sollen die ersten gewesen sein, die die gemalte Welt genauer ins Auge faßten.

Auf der Einladungskarte hat Fritz Balthaus ein Dürersches Auge, Detail seines Hieronymus Holzschuher (1526) abgebildet. In diesem Auge reflektiert sich als Lichtquelle ein Fenster. Dieses Motiv entwickelte Balthaus zu einem Auflagenobjekt weiter: „4 passe-partouts“ bestehen aus einem unbeschnittenen Karton, einem mit rechteckigem Ausschnitt, einem mit eingeschnittenem Fensterkreuz und einem mit dessen Negativform, einem Kreuz.

Bis 5. 2., Do-Fr, 17.30-20 Uhr, Sa 11-14 Uhr, Brunnenstraße 44, Prenzlauer Berg.

Bei den Bildern bleibt auch Clemens Mitscher im studio bildende kunst baumschulenweg. Er geht ihrer abbildungstechnischen Oberflächenerscheinung nach. Ihn interessieren Pixelstrukturen von Computerdrucken, Zeilenstrukturen von Videobildern, das grobe Korn von Fotovergrößerungen, aber auch die altmodische Glätte der chemischen Bildentwicklung auf Silbergelatine-Papier, wie beim braun-abstrakten Großformat „Kreuzfeuer“, 1988, als eigenständige ästhetische Qualität. So sehr er aber die gestalterische Charakteristik technischer Abbildungsverfahren von (vor allem digital aufzeichnender) Kameras und anderer digitaler Bildgeber elaboriert, so sehr kommt ihm dabei der Abbildungscharakter von Film und Foto in die Quere.

Einerseits zeigt er konzeptionell angelegte Bildserien wie „pictures from the front“, 1991, reportageartige, entwicklungstechnisch verfremdete Bilder von Grenzzäunen, -türmen und -soldaten, andererseits reduziert er die abgebildeten Gegenstände in Abzügen wie „Heimat“, 1989, „love of truth“, 1993, oder „field-glasses“, 1991, auf ihre Form- und Farbqualitäten in der zweidimensionalen Oberfläche, für die der gegenständliche Anlaß eher unerheblich ist. Bei „Kontext“, 1990, könnte man einen ursächlichen Zusammenhang zwischen politischer Ikonographie und miesem Abbildungsverfahren vermuten, aber beim Feldstecher ist die deutlich sichtbare Bildzeile der Videoaufnahme nur schickes Design.

Bis 18. 2., Mo-Fr, 13-18 Uhr, So 14-18 Uhr, Baumschulenstraße 78, Treptow Brigitte Werneburg

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