: Die Jagd nach der Stunde
■ Dem 42jährigen Francesco Moser fehlten in der Höhenluft von Mexiko-Stadt 431 Meter zum Stundenweltrekord des Briten Chris Boardman
Berlin (taz/dpa) – Zunächst sah alles nach einem Publicity-Gag und dem Versuch, sich noch ein paar Lire hinzuzuverdienen, aus, als der Weinbauer und Fahrradhändler Francesco Moser einen Angriff auf den Stundenweltrekord ankündigte. Anfangs hatte der Weltmeister von 1977 auch nur beabsichtigt, zum zehnjährigen Jubiläum seiner alten Bestmarke, die bis letztes Jahr Bestand hatte, ebendiese an gleicher Stelle zu verbessern. „Die erste Idee war, Moser an Moser zu messen“, sagte der 42jährige. Am 23. Januar 1984 hatte Moser in Mexiko-Stadt in einer Stunde 51,151 km auf einem eigens konstruierten Spezialrad zurückgelegt.
Doch die Technik ist inzwischen mächtig fortgeschritten und nach monatelanger Vorbereitung traute sich der Italiener, der jetzt sogar vier Kilo leichter ist als zu seiner aktiven Zeit, mehr zu: einen Angriff auf den gültigen Rekord des Briten Chris Boardman (52,270 km). „Sagen wir, daß ich nicht ausschließe, den Rekord zu schlagen“, verkündete Moser bescheiden, spätestens am Samstag überzeugte er die letzten Zweifler. Ein neuer Rekord blieb ihm zwar versagt, aber er fuhr die zweitbeste Marke aller Zeiten. Am Ende fehlten ihm 431 Meter.
Bei 18 Grad Celsius, 55 Prozent Luftfeuchtigkeit und anfänglicher Windstille war Moser nach 11,292 km noch eine Sekunde schneller als der 17 Jahre jüngere Boardman am 23. Juli 1993 in Bordeaux. Aber schon ab Kilometer 20 fuhr der Italiener, der eigenhändig mitgeholfen hatte, die Planken der Bahn mit einer den Untergrund besonders schnell machenden Quarzmischung zu bestreichen, dem Rekord bei auffrischendem Wind hinterher. Orientiert hatte er sich bei der Wahl des Materials an dem Schotten Graeme Obree, der als erster den alten Moser-Rekord überboten hatte. Er benutzte ein ähnliches Rad und die gleiche Position des Sattels, die es erlaubt, in Eiform auf dem Gefährt zu sitzen. „In der neuen Position kann man eine größere Übersetzung mit weniger Anstrengung bewegen“, meinte Moser und wählte eine extrem harte Übersetzung, die das Rad bei einer Pedalumdrehung 8,5 Meter voranbewegt.
Am Dienstag will Francesco Moser einen weiteren Versuch starten. Sollte er scheitern, wird der Rekord wohl spätestens im 1995 fallen, wenn sich Zeitfahr- Genius Miguel Induráin, ebenfalls in Mexiko, auf die Jagd nach der Stunde begibt. Matti
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