: Die Partei liegt Rau zu Füßen
Mit 99,4 Prozent wählten Nordrhein-Westfalens Sozialdemokraten ihren Ministerpräsidenten erneut zum Vormann / Harter Kurswechsel bei der Kommunalreform beschlossen ■ Aus Bielefeld Walter Jakobs
Bielefeld (taz) – Mit demonstrativer Geschlossenheit hat die nordrhein-westfälische SPD am Wochenende Johannes Rau erneut zu ihrem Vormann gewählt. Im Vorfeld der Bundespräsidentenwahl am 23. Mai votierten 310 von 312 Delegierten des Landesparteitages für Rau und bescherten dem dienstältesten deutschen Ministerpräsidenten damit das beste Wahlergebnis seiner politischen Laufbahn. Für Überraschung sorgte Raus potentieller Nachfolger, der Chef der Düsseldorfer Staatskanzlei, Wolfgang Clement. Bei den Beisitzerwahlen zum Landesvorstand erzielte Clement, dem bisher der Ruf vorauseilte, in der Partei über keinen ausreichenden Rückhalt zu verfügen, mit 244 Stimmen das beste Ergebnis. Für den Fall, daß Rau im Mai tatsächlich zu Weizsäckers Nachfolger gekürt würde, werden Clement nun gute Chancen eingeräumt, ihn politisch zu beerben. Der direkte Vergleich mit seinem Hauptkonkurrenten, NRWs Umweltminister Klaus Matthiesen, steht zwar noch aus – Matthiesen kandidierte in Bielefeld nicht für den Landesvorstand – aber, so ein Genosse zum Ergebnis, Matthiesen „kann jetzt nur noch auf eine Mitgliederbefragung hoffen“.
Einen harten Kurswechsel hat die NRW-SPD am Wochenende in Sachen Kommunalreform durchgesetzt. Das erst vor 25 Wochen während eines Parteitages in Hagen nach erbittertem Streit verabschiedete Modell wurde am Wochenende mit großer Mehrheit in den entscheidenen Punkten total revidiert. Ab 1999 sollen jetzt auch in NRW die Bürgermeister direkt vom Volk gewählt werden und hauptamtlich die Verwaltung führen. Die Zeit der städtischen Doppelspitze, bestehend aus dem ehrenamtlichen Bürgermeister und dem Stadtdirektor als Verwaltungschef, geht damit endgültig vorbei. Eine solche Neuregelung war in der Vergangenheit vor allem an den mächtigen, um ihren Einfluß bangenden SPD-Fraktionschefs aus den Rathäusern des Reviers gescheitert.
Für die Wende sorgte ein politischer Doppelschlag. Zum einen setzte die Düsseldorfer Opposition die Sozis durch die Vorbereitung eines Volksbegehrens mächtig unter Druck. Zum anderen formierten sich die noch in Hagen gescheiterten Reformer innerhalb der SPD nach der Direktwahl von Rudolf Scharping neu. Wer die Urwahl im eigenen Verein praktiziere, so ihr Argument, könne dieses Recht den Wählerinnen in den Kommunen nicht vorenthalten.
Auf die „berechtigte Sorge vor einer Übermacht“ (Rau) des direkt gewählten Bürgermeisters reagierte die SPD-Führung mit dem Vorschlag, die Wahltermine für BürgermeisterInnen und Räte zusammenzulegen. Man hofft, daß die jeweilige Ratsmehrheit so auch ihren OB durchbekommt. Dieser Passus dokumentiert nach Auffassung der CDU, die nun auf den Wahlkampfknüller Volksbegehren verzichten muß, erneut den „Widerwillen“ der SPD gegen die Reform. Das neue Selbstbewußtsein der Sozialdemokraten resultiert nach den Worten des Rau- Stellvertreters Christoph Zöpel vor allem aus dem Wechsel an der Parteispitze. Mit Rudolf Scharping seien für die SPD „neue strategische Perspektiven“ entstanden und in die Partei „die Vernunft zurückgekehrt“. Scharping erntete in Bielefeld mit seiner von sozial- und arbeitsmarktpolitischen Themen geprägten Rede viel Beifall. Die für einen Spitzenkandidaten im Wahlkampf eigentlich obligatorischen standing ovations blieben aber aus. Sorgen muß das den Kohl-Herausforderer indes nicht: Solche Jubelstürme inszenieren die NRW-Sozis traditionell erst in der heißen Wahlkampfphase.
Siehe Kommentar Seite 10
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