: Ökologischer Umbau in den Zeiten der Verschuldung
■ Vor dem Hintergrund des Waigelschen Schuldenbergs läßt sich eine erfolgverspre- chende Umsetzung des Wirtschaftsreformprogramms der Partei nur schwer vermitteln
Am Ende der Rechnung steht für Manfred Busch stets eine Null. Wenn der grüne Landtagsabgeordnete aus NRW neue Steuereinnahmen und neue Staatsausgaben für ein grün-bürgerbewegtes Wirtschaftsprogramm saldiert, ist er peinlich auf Genauigkeit bedacht. Um Zahlen aber ging es der Partei bei der Podiumsdiskussion am Samstag im Berliner Reichstag nicht. Vielleicht war das ein Grund, warum Busch bei der öffentlichen Diskussion der Wirtschaftspolitik fehlte. Und da auch andere Haushaltspolitiker mit dem grünen Parteibuch durch Abwesenheit glänzten, mangelte es in der Diskussion an solcher Akribie.
So diskutierte die Prominenz von Bündnis 90/Die Grünen über Kohls Ablösung, als folge danach finanzpolitisch die Stunde Null. Ausgaben und Einnahmen einer grünen Steuerreform wurden abgewogen, die einen wollen sie ein wenig größer, die anderen kleiner. Schon im Foyer aber wurde über die engen Handlungsspielräume und die Probleme einer möglichen Bundesregierung mit grüner Beteiligung geunkt.
Praktisch sah das am Samstag so aus: Die Partei diagnostiziert eine „ökologische Krise, die tiefe soziale Spaltung der Gesellschaft und eine Strukturkrise der deutschen Ökonomie“, so der linke Vordenker Frieder O. Wolf unwidersprochen. Folgerichtig schlägt sie vor, Öko-Steuern für den Energie- und Ressourcenverbrauch zu erheben. Die Einnahmen sollen wahlweise direkt für den ökologischen Umbau oder für die Senkung der Sozialabgaben und damit der Arbeitskosten genutzt werden. Gleichzeitig soll so der Wirtschaft ein Weg aus der strukturellen Krise in eine ökologisch verträglichere Zukunft gewiesen werden. Höhere Erbschaftssteuern, Steuern auf Immobilienbesitz und der Abbau zahlloser unsinniger Vergünstigungen schließlich sollen den Umbau des Sozialstaates und eine soziale Grundsicherung für alle ermöglichen. Schlüssig eigentlich.
Doch Waigels Schuldenberg und vor allem die Probleme, die er einem grünen Reformprogramm bereitet, wurde höchstens noch erwähnt, über Konsequenzen aber lieber nicht laut nachgedacht. Ralf Fücks, Bremer Senator für Umwelt und Stadtentwicklung, rechnete auf dem Podium vor, daß schon im kommenden Jahr jede vierte eingenommene Steuermark für den Schuldendienst draufgeht. 220 Milliarden Mark neue Schulden machten Bund, Länder, Gemeinden, Sozialversicherungen und Bundesunternehmen 1993. „Das reduziert die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung gegen Null.“ Konsequenzen für den von Bündnis 90/Die Grünen geplanten ökologischen Umbau? Fehlanzeige.
Kaum anders Frieder O. Wolf: „Nach der Bundestagswahl wird neu gerechnet, dann wird die Bundesregierung rausrücken, wo sie überall die Haushaltslage schöngerechnet hat.“ Konsequenzen für die grüne Diskussion eines Wirtschaftsprogramms? Auch hier keine. Selbst dem omnipräsenten Joschka Fischer waren die schiere Existenz einer grünen Wirtschaftsdebatte und die programmatischen Fortschritte hin zur Akzeptanz von marktwirtschaftlichen Instrumenten viel zu wichtig, als daß er an dieser Stelle allzu viel Wasser in den Wein gießen wollte. „Wenn ich nur sage, eins und eins ist zwei, wird mir ja gleich Resignation unterstellt...“
„Nach der Wahl wird neu gerechnet...“
So recht wohl war den Frauen und Männern von Bündnis 90/Die Grünen bei dieser Verdrängung nicht. Schließlich wollen sie im Wahlkampf für einen Solidarpakt werben, „ein Modernisierungsbündnis in dieser Gesellschaft“ schmieden. Dafür muß offensiv auch die Mittelklasse zur Kasse gebeten werden. Das politische Kalkül: Für ein solch konkretes Modernisierungsprojekt sind die Menschen vielleicht zu Opfern bereit. Was aber, wenn der Solidarbeitrag nach der Bundestagswahl 1994 im Schuldenloch verschwindet und vom avisierten Reformprojekt nicht viel übrigbleibt?
Senator Fücks hatte zumindest einen Begriff für das Problem. Er will eine grüne Austeritätspolitik. Grüne Austeritätspolitik, das heißt für ihn, daß Lehrerpaare deutlich mehr für den Kindergartenplatz ihrer einzigen Tochter berappen müssen. Grüne Austeritätspolitik, das heißt aber auch die Rationalisierungsspielräume in den Verwaltungen ausschöpfen. „Da kann man 20 bis 30 Prozent an Kosten einsparen, ohne daß die Leistung leidet. Viel zu viele Behörden sind nur noch auf sich selbst bezogen“, so der Bremer Verwaltungschef.
Auch Frieder O. Wolf stellte auf Nachfrage das Reformprogramm unter einen Waigelschen Vorbehalt: „Nach der Wahl müssen wir uns erst mal die leeren Kassen angucken und dann sehen, was davon noch machbar ist.“ Er hat aber die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß man den Wohlhabenden und Spekulanten tiefer in die Tasche greifen kann, ohne daß das schöne Geld im Ausland verschwindet.
Die ökologische Steuerreform, der Umbau des Sozialstaates, das Modernisierungsprojekt – sie stehen in Konkurrenz zum Schuldenberg. Das wissen die Grünen, doch sie fürchten, es ihren eigenen mittelständischen Wählern nicht verklickern zu können. Hermann-Josef Tenhagen, Berlin
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