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Vom Anti-Ausländerfeind zum Fremdenfreund Von Mathias Bröckers

Stellen wir uns die Erde als ein Dorf mit 1.000 Einwohnern vor, leben dort 584 Asiaten, 124 Afrikaner, 95 Ost- und Westeuropäer, 84 Lateinamerikaner, 55 Ex-Sowjetmenschen, 52 Nordamerikaner und sechs Australier. Die Kommunikationsprobleme in diesem globalen Dorf sind offensichtlich, denn 165 Bewohner sprechen Chinesisch, 86 Englisch, 83 Hindi oder Urdu, 64 Spanisch, 58 Russisch, 37 Arabisch und die andere Hälfte des Dorfs 200 weitere verschiedene Sprachen. Ähnlich gemischt sind die Religionen, wobei Christen, Molems und Hindus die größten Gruppen stellen. Ein Drittel aller Dorfbewohner sind Kinder, nur 60 Bewohner sind über 65 Jahre alt, die Hälfte aller Erwachsenen sind Analphabeten.

200 Bewohner des Dorfs verfügen über 75 Prozent des gesamten Jahreseinkommens, weitere 200 müssen gemeinsam mit zwei Prozent auskommen, drei Menschen pro Jahr sterben an Hunger, zwei davon sind Babys, die keine zwölf Monate alt wurden. Nur 70 Leute haben ein Auto, einige der 70 aber gleich mehrere. Nur ein Drittel aller Dorfbewohner erhält reines, gesundes Trinkwasser. Von den öffentlichen Geldern wird der größte Teil für Waffen und Kriegsführung ausgegeben, knapp 100 Dörfler verfügen über ein Nuklearwaffenarsenal, das die 900 restlichen Bewohner in Angst und Schrecken versetzt. Es reicht nicht nur aus, um das Dorf buchstäblich zu atomisieren, selbst wenn sich die Bombenbesitzer dazu entschließen könnten, diese Waffen abzurüsten, bleibt die Frage, wo im globalen Dorf der radioaktive Schrott deponiert werden soll...

Sich die Erde in einem solchen Format vorzustellen, ist die einfachste Möglichkeit, global zu denken – und vielleicht auch die einzige. Bei großen Zahlen und Mengen verliert der humane Bewußtseinsprozessor schnell den Überblick – nicht von ungefähr fanden die Archäologen, daß die frühen Siedlungen der Menschen nie mehr als 200 Bewohner zählten. Seitdem hat sich viel verändert, doch das Bewußtsein ist nicht im selben Tempo gewachsen wie die technologische Beschleunigung. Das zeigt sich schon daran, daß die globalen Nachbarn als „Ausländer“ weltweit oft wie ein Stück Scheiße behandelt werden. Nun ist Anti-Ausländerfeindlichkeit in zivilisierten Staaten heute politisch korrekt und selbstverständlich — fragt man aber nach Ausländerfreundlichkeit, klafft schnell eine Riesenlücke. Wer vom bloßen Anti-Ausländerfeind zum aktiven Fremdenfreund mutieren möchte, dem kann das Buch „Willkommen – Gastfreundschaft weltweit“ (Verlag Medienexperimente, ISBN 3-925817-66-2; 220 Seiten, 25 DM) jetzt zur Seite stehen. Gastgeber Werner Pieper hat in diesem Ethno-Knigge alles zusammengestellt, was es für potentielle Fremdenfreunde zu beachten gilt: Neben Kurzbeschreibungen der Begrüßungsrituale, des Brauchtums, der Tabus und Ernährung aus siebzig Ländern finden sich längere Beiträge zur Gastfreundschaft in den verschiedensten Kulturen, ihrer Feiertage und Feste, ihrer religiösen und gastronomischen Gebräuche.

„Oh Unvernunft – einen Reisenden zu sehen, ohne ihn auszufragen“, sagt ein afrikanisches Sprichwort – Information ist alles im globalen Dorf. Und dieses Buch macht neugierig darauf, die Freuden der Fremden-Freundlichkeit zu kosten.

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