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Plädoyer für den jugendlichen Flaschenwerfer -betr.: Zum Leserbrief von Hannes Radke über die Silvesterkrawalle, taz vom 10.1.94

Betr: Zum Leserbrief von Hannes Radke über die Silvesterkrawalle, taz vom 10.1.

Hannes Radke hatte offensichtlich Teil 10. der Serie „Kriminalität in Bremen“ zum Opferverhalten nicht gelesen oder nicht verstanden, als er die Silvestererlebnisse eines 13jährigen an der Sielwallkreuzung als Tränendrüsen-Geschichte abtat und dessen Äußerung, er habe „den Bullen“ eine Flasche vor die Füße geworfen als erschreckendes Schuldunbewußtsein geißelte. Sicherlich wünschen sich die meisten Polizeibeamten, Silvester auch anders zu verbringen als in einem Einsatz auf der Sielwall-Kreuzung. Dennoch scheint für einige, ich denke wenige Beamte die Versuchung nicht klein zu sein, ihren Frust an Dritten abzulassen, die nicht immer Randalierer sind. Wer einmal einen Polizieeinsatz bei einer Großdemonstration erlebt hat, wo meist die besseren Argumente kriminalisiert werden, der weiß, wie schwer es ist, eine Flasche eben nicht zu schmeißen und sich zu beherrschen.

Daß ein 13jähriger nach einem für ihn sehr schmerzhaften Polizeieinsatz dann nicht mehr zwischen besonnenen Polizeibeamten und „Bullen“ zu unterscheiden weiß, ist doch verständlich. Und daß er kleinlaut von seinem eigenen Flaschenwurf berichtet, zeugt eher von nicht verlorenem Unrechtsbewußtsein. Ein Flaschenwurf rechtfertigt übrigens auch nur einen angemessenen Polizeieinsatz gegen Werfer.

Innensenator van Nispen und Polizeipräsident Lüken hätten daher auch gut daran getan, einzugestehen, daß ihr Deeskalisierungskonzept gescheitert ist, wenn sie denn eines hatten. Ein kleines Feuer am sozialen Brennpunkt Sielwallkreuzung von der Polizei löschen zu lassen und nicht von der Feuerwehr, zeugt von sehr wenig Konzept. Auch läßt sich ein Fuhrpark mit Wasserwerfern diskreter etwa am Osterdeich in Reichweite bereithalten, wenn man meint, ihn Silvester an der Sielwallkreuzung zu brauchen. Das wirkt weniger bedrohlich.

Zu hoffen bleibt, daß Innensenator und Polizei mehr Selbstkritik üben, Bemühungen zeigen, ihre schwarzen Schafe in die Schranken zu weisen und ein erfolgversprechendes Deeskalierungskonzept erarbeiten. Nur so läßt sich die Akzeptanz der Polizei erhöhen und verlorenes Vertrauen zurückgewinnen.

Dirk Burchard

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