: Gebete und Maschinen
■ Zwischen den Welten: Der Künstler Nicolas Anatol Baginski
Objekte aus Panzerraupen hat er anläßlich des Golfkrieges wie im Autosalon aufgestellt, in New York hat er als Designer gearbeitet und in die Hamburger Tanztheatergruppe COAX brachte er das Element Maschine ein. Bekannt wurde er anläßlich der Linzer Ars Electronica 1991 mit seinen „Cyber-Pets“, Roboterwesen, die zu elektronischen Haustieren verniedlicht wurden, da sich die Kritiker an die Wesen in der Romanvorlage zum Kult-Film Bladerunner erinnert fühlten.
„Das hat mich schon sehr abgestempelt,“ sagt der 1961 in München geborene Nicolas Anatol Baginsky, „aber die ursprüngliche Absicht war eigentlich, behinderte Roboter zu bauen, so kleine Versager“. Bevor er sich für drei Jahre in den Bau elektronischer Maschinen versenkt hat, hat sich der Autodidakt in allen seinen Aktivitäten mit Bildhauerei befasst, unter anderem drei Jahre als Bühnenbildner im Theater im Zimmer. Die letzten anderthalb Jahre aber suchte er nach einem adäquaten Ausdruck für das Thema „Tibet“, für das sein elektronisches Instrumentarium nicht griff.
„Wenn man bedenkt, daß die seit vierzig Jahren annektiert sind und diese so ungewöhnliche Kultur ausgerottet wird, wobei der Widerstand fast ausschließlich gewaltlos ist, mußte ich dazu eine Arbeit machen.“ „Drehen, Denken, Beten“ steht aufgeschweißt in sechs Sprachen auf ebensovielen, im Stahlgestell drehbar senkrecht montierten Zylindern: eine auf das Strukturelle reduzierte moderne Fassung einer Gebetsmühlenanlage des tibetanischen Buddhismus. „Ein wesentlicher Teil meiner Faszination dabei war das mechanische Gebet, die in jener Kultur einmalige Konstruktion eines konkreten Verstärkers metaphysischer Kräfte.“ Doch so ungewohnt reduziert diese Stahlplastik im „Weißen Raum“ steht, ein kleine Maschine ist auch noch da: eine Apparatur, die eine Handgebetsmühle in Bewegung hält.
Der politische Aspekt der Kunst sei für ihn der wichtigste, sagt Baginsky, doch ist er sich der Gefahr bei der Annäherung dieser zwei Komplexe bewußt: „Es ist schwierig, nicht anzuklagen, keine plakativen Sätze an die Wand zu schreiben. Ich habe den Karma-Gedanken aufgenommen: die Leute sollen sich hinstellen, die Trommeln drehen, ein paar positive Gedanken haben und den Menschen geistige Unterstützung zuteil werden lassen.“
In der Hamburger Kunsthalle ist gleichzeitig mit Elizabeth Gardner eine der großen „künstlichen Lebewesen“ von Nicolas Anatol Baginsky aufgebaut worden. „Die Arbeit ist kein übliches Museumsobjekt, sie guckt zurück, ist lernfähig nach kindlichem Schema, sieht dem Menschen ins Gesicht und äußerst sich guttural stammelnd, wie in einer Sprache.“ Solche Objekte thematisieren die Forschungen zur künstlichen Intelligenz und zur Fetischisierung von Technik. „In meiner Kunst geht es um die Kontrolle der immer weiter treibenden Begeisterung, das Machbare zu machen. Die Kunst als korrigierende Gegenkraft holt die Projekte aus dem militärisch-industriellen Labor und macht sie im Alltag sichtbar, damit Diskussion möglich wird. Die Technik wird auf jeden Fall in immer stärkerem Umfang unser Leben bestimmen. Die dreissig Jahre alten Studien der NASA über sich selbst vermehrende Maschinen auf anderen Planeten sind da bloß utopische Zielvorgaben, die in geringerm Umfang bereits realisiert werden. Der Mensch stiehlt sich bei alledem immer mehr aus der Verantwortung.“ Baginsky ist ein Künstler ganz im Sinne der Forderung Bazon Brocks, daß eine Avantgarde nur noch darin sinnvoll sein kann, absehbare Zukünfte zu verhindern.
Vor acht Jahren von der Chaostheorie fasziniert, sucht er weiterhin die Gesetzmäßigkeiten zwischen den großen Zusammenhängen und den kleinen Strukturen und ist bestrebt interdisziplinär ungewöhnliche Vergleiche zu ziehen. Wird Baginsky nun Buddhist? „Eigentlich bin ich nicht gläubig. Aber wird soviel Energie in ein Ziel projeziert wie beim Dalai Lama, entsteht ein positives Zentrum. Es braucht eben ein Zeichen, etwas, was ES den Menschen zugänglich macht.“
Und damit diese beiläufige Art, durch Drehen an einer Trommel mal eben etwas Gutes zu tun, auch weiterhin wirkt, wird für die Stahlplastik noch ein öffentlicher Ort auf Dauer gesucht. Bis dahin muß das Karma durch die Arbeit mit den kleinen Gebetsmühlen aus Aluminiumdruckguß zufriedengestellt werden, die in neunzig Stück als Edition aufgelegt wurden. Oder die Aktivität wird in eher westlichem Sinne umgelenkt auf die ausgelegten Postkarten der Gesellschaft für bedrohte Völker an die Bundesregierung, mit denen die Rücknahme der 1988 erfolgten skandalösen völkerrechtlichen Anerkennung der Annexion Tibets durch China gefordert wird. Hajo Schiff
“Tibet“: Weißer Raum, Admiralitätsstr.71, Hinterhaus, Mi-Fr 12-18, Sa 12-15 Uhr, bis 26.2. „Elisabeth Gardner“: Kunsthalle
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