: Nicht ohne meine Dosen
■ „Diese deutsche Nacht aus 1001 Nacht“ – Hürdem Gürel-Riethmüller scheppert in der Rost-Bühne
Ein Ton hält sich im Seil versteckt. Mit einem Bogenstreich macht Dalila (Hürdem Gürel- Riethmüller), die Klang- und Bildillusionistin aus dem Morgenland, ihn sichtbar. Im Hanf wölbt sich etwas, eine Beule wandert von einem Schnurende zum andern. Eine Tonspur wie der Pfad eines Maulwurfs. Am Ende angekommen, verstärkt eine große Blechdose die Schwingungen und übersetzt sie in rhythmisches Plätschern. „Der Pilgersmann und die alte Frau“, Figuren aus Dalilas Märchenrepertoire, das sie ihre „Bilder“ nennt und währenddessen zum besten gibt, sind an der gesuchten Quelle angekommen. Einer der wenigen magischen Momente, die das Ein- Frau-Stück „Diese deutsche Nacht aus 1001 Nacht“ von Tristan Berger, Orhan Güner und Hürdem Gürel-Riethmüller nach der Münchener Uraufführung 1989 jetzt auch für das Berliner Publikum in der Rost-Bühne parat hält.
Die Malerin klingender Bildgeschichten will nach Deutschland. Und ihr Gang durch die Ämter, vom Erkennungsdienst, dem Amtsarzt bis hin zum Büro, das ihre „Arbeitsbefähigung“ nachweist, droht gleich am Anfang schon zu scheitern. Denn die Protagonistin hat zwar Bilder für die ganze Welt im Handgepäck, aber keines von sich selbst. So setzt sie sich dem rechteckigen Foto-Fix- Licht aus, pustet sich dabei den gelben Schleier aus der Stirn, legt ihn am Ende sogar ganz ab. Doch irgendwie scheint es trotzdem nicht zu klappen, die Prozedur wird noch mehrfach wiederholt – der Apparat verweigert ihre Abbildung zunächst. Und ohne Identität kein Bleiberecht.
Dalila bietet ihren imaginären Widersachern in der Einwanderungsbehörde ein Tauschgeschäft an: Ihre Phantasie gegen den Einlaß ins „Land der Ungläubigen“. Und so reiht Dalila, wie einst Scheherazade im Zimmer des Sultans, ein Märchen an das andere, um die Mächtigen zu erweichen. Blechdosen, die paarweise durch ein Seil miteinander verbunden sind – ein Do-it-yourself-Telefon, wie man es noch aus Kindergarten-Zeiten kennt – werden zu Instrumenten simultaner Gleichnisvertonung. Diese spannungsverstärkende oder kommentierende Untermalung ist zuweilen sehr wirkungsvoll, wird jedoch deutlich überstrapaziert. Und es verwundert nicht, daß ihrem Streichbogen bei den angestrengten Effekt-Etüden die Haare ausgehen: In den eigenen Einfall verliebt, klopft und scheppert Gürel-Riethmüller, was Metall und Faden hergeben, während sie Dalilas Weisheiten und derbe Anekdoten ans Publikum bringt.
Ihr Spiel sollte sich in trotzige Verzweiflung steigern (bis zuletzt ziehen sich Patzigkeiten durch den Monolog; als sie schließlich eine Aufenthaltsgenehmigung bekommt, will sie sie auch gar nicht mehr), doch die Schauspielerin stellt lediglich in groben Dosen Exzentrik aus. Ihr Handlungsspielraum wird durch eine Diagonale rostiger Eisenplatten am Boden (die an andere Karteileichen erinnern) und angerostete, halbhohe Metallpfeiler im Hintergrund begrenzt. Wenig Platz für Zwischentöne und Polymorphien läßt diese Lautbühne der Bittstellerin, die Wiederkehr des Gleichen ist fest installiert. Versatzstücke aus Betroffenheitslyrik und „Seid nett zu Fremden“-Empfehlungen disziplinieren die Monologphantasien zu eindimensionaler Sozialkritik. Ähnlich wie das Papier des Fotoautomaten wartet man den ganzen Abend auf eine Entwicklung. Doch Dalilas Präsenz verlöscht am Ende spurenlos mit ihrer Stimme, die noch einmal versucht, uns ihren ellenlangen Nachnamen einzubleuen. Aufmerksamkeit für eine Fremde soll geweckt werden, doch Dalila ist nur ein Sammelsurium aus orientalisch klingenden und meist recht allgemeinen Geschichten. Sie bleibt zu unspezifisch, um wirklich zu einer figurgewordenen Metapher für Fremdheit zu avancieren.
Die Zielrichtung dieser 70minütigen Präsentation bleibt schwammig, klar konturiert ist allein die rondohafte Dramaturgie. Und am Ende steht wie am Anfang nur ein kurzes Scheppern. Birgit Glombitza
Bis 6.2. je Fr.–Mo. (außer 22.1. und 4.2.), 20.30 Uhr, Rost-Bühne, Knesebeckstraße 29, Charlottenburg.
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