piwik no script img

12.000 Giftsäcke an Hollands Strand

Frachter hatte Anfang Dezember 88 Container vor der Bretagne verloren / Auch deutsche Nordseeküste bedroht / Schiff ist jetzt in Amsterdam an die Kette gelegt  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) – Mondmenschen an Hollands Stränden: An der niederländischen Küste sammeln Arbeiter in Spezialanzügen, mit Atemschutzmasken und Plastikbrillen bestückt, derzeit Tausende Säckchen mit einem hochgiftigen Pestizid ein. Die acht mal zwölf Zentimeter großen Beutel mit den Giften „Apron Plus“ und „Ridomil“ stammen angeblich von dem französischen Containerschiff Sherbro, das Anfang Dezember vor der französischen Atlantikküste einen guten Teil seiner Fracht verloren hatte. Durch den Ärmelkanal soll das Gift jetzt bis vor die niederländische Küste gespült worden sein. Das orangerote Pulver wird vom Schweizer Chemiekonzern Ciba Geigy hergestellt.

Erste Meldungen über die Beutel mit dem Gift waren am Dienstag zunächst von der südholländischen Küste gekommen. Gestern fanden sich dann auch Säckchen an den Stränden der westfriesischen Inseln Texel und Ameland. „Es ist durchaus möglich, daß die Tüten auch durch die Deutsche Bucht schippern“, meinte der Sprecher des Bundesamtes für Seeschiffahrt und Hydrogeographie, Günter Heise, zur taz. Die niedersächsische Küstenwacht hatte bis Redaktionsschluß noch keine entdeckt.

Das Verkehrsministerium in Den Haag geht inzwischen davon aus, daß die Strände des Landes für Aufräumarbeiten mindestens noch mehrere Tage gesperrt bleiben müssen. Die Staatsanwaltschaft legte den Frachter Sherbro in Amsterdam an die Kette. Die Verkehrsministerin Hanja Maij- Weggen kündigte Schadenersatzforderungen gegen die Reederei des unter zypriotischer Flagge fahrenden Schiffes an. „Das Schiff darf Amsterdam nur bei Hinterlegung einer Kaution verlassen.“

Die Sherbro hatte bei einem Sturm Anfang Dezember mindestens 88 Container verloren oder über Bord gehen lassen. Wieviel davon mit Chemikalien gefüllt gewesen waren, ist noch unklar. Sprengzünder, die mit über Bord gegangen waren und zu Tausenden an Frankreichs Stränden auftauchten, haben die niederländischen Behörden bislang nicht gefunden.

An der französischen Kanalküste waren insgesamt 220.000 Tüten mit dem Gift gefunden worden. Doch es bleiben Zweifel, ob es sich um das gleiche Gift handelt. Rainer Alpers von der Seeberufsgenossenschaft in Hamburg zumindest glaubt nicht, daß die Giftbeutel schon vor der französischen Küste über Bord gegangen sind. „Das wäre sehr ungewöhnlich. Ich würde das erst mal nicht glauben.“

„Apron Plus“ enthält das Insektizid Furathiocarb und die Fungizide (Pilzgifte) Carboxin und Metalaxyl. Bei der niederländischen Tochter von Ciba Geigy räumte man gegenüber der Amsterdamer Zeitung Volkskrant ein, man wisse nichts Genaues über die Giftigkeit der Chemikalie, wenn sie eingeatmet wird. Die niederländischen Behörden hingegen gaben an, wenn der Stoff in Mund oder Augen komme, bestehe Lebensgefahr. Das Einatmen verursache Übelkeit, Kopfschmerzen und Schwindelgefühle.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen