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„Schweinekartoffel!“

■ Drei Hamburger Schulen schicken Kinder heim, die diskriminierende Schimpfwörter benutzen   Von K. Kutter

Die Köpfe rauchten, als am Dienstag abend rund hundert Lehrer im Curiohaus versammelt waren, um auf Einladung der GEW über ein neues pädagogisches Phänomen zu reden. Es wird wieder diszipliniert. Seit Dezember vergangenen Jahres ist es an drei Hamburger Förderschulen vorgesehen, Kinder nach Hause zu schicken, die „Hurensohn, Arschficker, du Nutte, du alte Fotze, Tittenficker“ oder ähnliche Schimpfwörter benutzen.

Den Anfang hatte die Frieda-Stoppenbrink-Schule in Neuwiedenthal gemacht. Dort habe sich im letzten Jahr die „verbale Aggressivität potenziert“, berichtet Schulleiter Horst-Friedrich Schmidt. Vor allem Kolleginnen, die mit „du Fotze“ und „du Hure“ beschimpft wurden, seien verzweifelt gewesen. Schließlich verfaßte der Rektor einen Brief an die Eltern. Um der kindlichen Sprache wieder zu ihrer „Natürlichkeit“ zu verhelfen sowie „Sitte und Anstand zu fördern“, bitte man die Eltern, die Maßnahme zu befürworten. „Es geht nicht darum, daß die Schüler nicht mal 'Scheiße' sagen dürfen“, so Schmidt. Verboten seien vielmehr Ausdrücke, die Menschen oder Minderheiten diskriminieren - „Arschficker“ beispielsweise.

Glaubt man den Schulleitern, so ist die neue Regelung ein Erfolg. „Das Klima hat sich bei uns ingesamt verbessert“, sagt Thomas Fritz von der Anne-Frank-Schule in Barmbek. Das Thema sei in allen Klassen besprochen worden, manche hätten sogar Listen aller Wörter aufgestellt und versucht herauszufinden, was sie bedeuten. „Nach Hause schicken“ sei der allerletzte Schritt, seit Inkrafttreten der Regel habe er das nur zweimal getan. Schulleiter Schmidt, der anfangs täglich Schüler heimschickte, inzwischen aber gar nicht mehr, wie er beteuert, meint gar, daß es „in der Masse weniger Prügeleien“ gebe.

Seine Beobachtung korrespondiert mit einer Erkenntnis der Hamburger Studie „Gewalt an Schulen“. Verbale Aggression, so hatte der Schulpsychologe Michael Grüner herausgefunden, gehe der körperlichen Auseinandersetzung oft voraus. Und Kinder würden doch erheblich darunter leiden. Grüner hält „Schimpfwort“ gar für einen verniedlichenden Begriff, besser wäre „sprachliche Verrohung“.

Doch wo fängt ein Schimpfwort an und wo hört es auf? Eine afghanische Schülerin habe ihm einmal gesagt, ihr schlimmstes Wort sei „Schweinekartoffel“, berichtete ein Lehrer im Curiohaus. „Soll ich dieses Wort auf die Liste setzen? Und wenn, dann muß ich es in allen Muttersprachen tun.“

„Ich finde es nicht gut, die Kinder nach Hause zu schicken“, kritisierte eine Mutter. Ihren Sohn hatte es getroffen, nachdem er gesagt hatte, „das geht mir am Arsch vorbei“. Schüler nach Hause zu schicken sei „Höchststrafe“, gab ein Lehrer zu bedenken. Die, die auffällig seien, hätten fast alle in der Familie ein Problem, „wenn ich die mit Brief zu den Eltern schicke, geht bei denen die Post ab“. Man möge doch bitte den Kollegen soviel zutrauen, daß sie verantwortungsvoll mit der Disziplinarmaßnahme umgehen, entgegnete eine Pädagogin.

„Ein Kind, das schimpft, das spricht ja noch“, sagte ein Sonderpädagoge. Viel schlimmer seien all die gewalttätigen Kinder, die nicht mehr mit Worten zu erreichen seien. Konter: Gerade durch die Maßnahme sei es geglückt, Gewalt zum Thema zu machen: „Solange man noch mit den Kindern reden kann, muß man jeden Weg nutzen.“

Fazit der zweistündigen Debatte: Auch wenn lehrer sich nicht einigen kann, ob die Maßnahme vertretbar, sinnvoll oder ein Rückfall in die Steinzeit ist, die Förderschulen selbst werden zum Thema gemacht, und das sei schon gut. Statt sich an der „Schimpfwörter-Frage“ zu zerfleischen, will man per Unterschriftenliste an die Politik appellieren, daß sie dem Schlußlicht in der bildungspolitischen Landschaft die schon ewig geforderten Sozialpädagogen zur Seite stellt.

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