Wand und Boden
: Buchhalter des Realismus

■ Kunst in Berlin jetzt: Hirst, Caven, Brandmeier, U-Bahn

So eilig hatte es bislang keiner: Kaum 4 Wochen nach Antritt seines DAAD-Jahres zeigt die Galerie Bruno Brunnet Fine ArtsDamien Hirst — der Mann mit den halbierten Kühen und den in Formaldehyd eingelegten Haien. Doch der 28jährige tough guy aus England ist gar nicht so tough, vielmehr macht er „beautiful drawings“ – sanft und bürgernah. An einer Art Töpferscheibe mit Staffeleiaufsatz können sich Galeriebesucher ihr eigenes Bild malen und behalten. Hirst hat zudem einige Dutzend Prototypen vorgefertigt, die schlicht gerahmt neben der Maschine an den Wänden hängen: schmalen Streife konzentrischer Kreise, in leuchtender Tinte, rauhem Wachsstift und manchmal auch Grafit. Etwas Kandinsky, fast beautiful, zumindest ganz hübsch.

Vor allem ist das Prinzip der Malmaschine überwältigend simpel. Im Grunde bedarf es keines Könnens, um Kunst zu machen, so der künstlerische Impetus von Hirst. Die bohrmaschinenbetriebene Drehscheibe rotiert mit hunderten Umdrehungen, der Griffel wird aufs Papier gehalten, das Bild besorgt die Geschwindigkeit. Der künstlerische Akt besteht noch in der Auswahl der Farben und einem sporadischen Schlenkern der führenden Hand, was auch nichts anderes als bunte Kuller erzeugt. Nach der dritten Zeichnung wird es allerdings perfide. Dem Mechanismus wohnt eine ungeheure Zwanghaftigkeit inne, in der bereits das ganze Dilemma der Malerei als Dispositiv einer „affirmativen Ästhetik“ begründet liegt, von dem Lyotard schreibt: „Das Dispositiv ist ein Schaltplan, der die Energie, ihre Zufuhr und ihre Abfuhr als chromatische Einschreibung kanalisiert und reguliert.“ Mehr nicht – und das besorgt eine primitive Maschine. Wer an Kunst glaubt, ist ziemlich naiv – oder er mag schöne Bilder. Die Hirst-Maschine jedenfalls funktioniert.

Bis 5.2., Mo.–Fr. 10–18.30 Uhr, Sa. 10–15 Uhr, Wilmersdorfer Straße 60/61, Charlottenburg

Auch Kari Caven will der Malerei nicht über den Weg trauen, braucht aber ungleich mehr Ironie, um seine Skepsis zu bezeugen. Die Installation in der Galerie Gebauer & Günther besteht aus drei innen geschwärzten Holzwaggons nebst deren an die Wand gehängten „Deckeln“, einer auseinandergeschraubten Kiste als „black paintings“ – und zehn gerahmten, leeren Papiersäcken mit der Aufschrift „weiß“. Die drei Elemente verweben sich zu einer Erzählung über monochrome Malerei. Die mannshohen Waggons, in die man nur mit Mühe hineinblicken kann, scheinen das Deckenlicht völlig zu schlucken. Die Farbe wird zum unwägbaren Material in einem fast geschlossenen Raum. Der Betrachter nimmt nicht die Oberfläche wahr, sondern illusionistische Tiefe. Im nächsten Schritt wird ihm anhand der schwarz bemalten Holztafeln vorgeführt, wie die Wirkung im Innenraum zustande kommt. Die Bildflächen sind genormt, ihre Konstruktion bis in die Details bloßgestellt. Der Guckkasten legt sein Bauprinzip offen. Daß noch die sprachliche Verfaßtheit des Bildes in Serie kommentiert wird, wirkt angesichts der verblüffenden Wechselbeziehung von „innen“ und „außen“ ein wenig penibel.

Wenn man die Formfragen auf den Raum ausweitet, werden nahezu identische Muster am Verhältnis von Volumen und Leere sichtbar. Im Ansatz der Caven- Arbeit ähnlich, beginnt Monika Brandmeier skulptural an einem Nullpunkt. Ihre Objekte zeigen Dreidimensionalität auf und nehmen sie gleichzeitig zurück. Am Boden ist ein kleiner Kasten aus schmalen Aluminiumwänden befestigt worden, der minimalistisch ein Stück grauer Grundfläche der Galerie einschließt. Die Wände sind mit einem dünnen Metallgitter umwunden, das wie ein zu langer Vorhang am Boden klebt. Der Kasten wirkt körperlos, obwohl das Gitternetz die Fläche raumgreifend abdeckt. Auch die dünnen Umrißlinien eines anderen Rechtecks aus mehrfach gewinkeltem Metallrahmen skizzieren einen abgeschlossenen Gegenstand, bleiben aber in der Schwebe zum Bild. Nur der Berührungspunkt mit dem Gestänge markiert das scheinbare Volumen. Dazu baumeln Haarproben an einer Metallschlaufe und verdoppeln die malerisch- plastische Wirkung des Objekts. Wie verschiedene Pinselsorten gereiht, betonen sie die Feinheiten, aus denen sich Körper zusammensetzen oder überhaupt greifbar werden.

Bis 26.2., Mi.–Sa. 13–19 Uhr, Oranienstraße 24, Kreuzberg

Irgendwie ist der Wurm drin – wie man sich berlinerseits auch um großzügige Theoriegebäude und Meisterdiskurse bemüht, tief innen schlummert der Buchhalter des Realismus. Im neuesten Kunstforum hat das Kritiker-als- Kurator-und-Künstler-Modell Thomas Wulffen recht kleinteilig seine Idee vom „Betriebssystem Kunst“ mit allerlei Fallstudien bebildert, und jetzt rückt das Auswahlgremium der Aktion „Kunst statt Werbung“ auf seine Weise konzept-artig hinterher. Das zur dritten U-Bahn-Ausschmückung unter dem Alexanderplatz vorgegebene Thema kann kaum Zufall sein: „Warum gerade ich?“ Vielleicht weil es in das System paßt. Künstler reden über die Bedingungen ihrer Existenz, und eine Jury aus Kritikern, Kuratoren und Künstlern prämiert die gelungenste Selbstrepräsentation. Der Kreis bleibt geschlossen, auch wenn es etwas von Realsatire hat, gerade in der U-Bahn, wo mit Sätzen wie „Langeweile ist die Grundbefindlichkeit des Philosophierens“ zum Denken animiert wird. Bei Wolfgang Max Faust zumindest steht es um die Kunst anders: „In kaum einem anderen Subsystem liegen Glücksversprechen und Brutalität so nahe beieinander wie in der Kunstszene.“

Am geschicktesten bewegt sich in diesem Rahmen Thorsten Haake-Brandt. Er hat ein Ablehnungsschreiben der Gurken- Firma Kühne gelb auf grünem Grund reproduziert. Statt Kinderzeichnungen, Bruitismen, collagierte Paßfotos, geplatzte Würstchen oder das Wörtchen „Ich“ in allen Sprachen durchexerziert aufzupinnen, zeigt er sich vom System definiert und freundlich abgewiesen. Ansonsten ist auch das Gesellschaftsspiel „Rauswerfen“ von Richard Schütz auf der Höhe von Faust und Zeit.

Bis Juni, Alexanderplatz, auf dem Bahnhof der U 2, während der Fahrzeiten Harald Fricke