■ Ökolumne: Alices Tierleben Von Michael Miersch
Vergewaltigte Hühner, geschändete Hirschkühe, diskriminierte Kakerlaken: In der Januarausgabe der Zeitschrift Emma bekennt sich Alice Schwarzer zur Tierrechtsideologie. Das kann man – wie der Spiegel – ein bißchen mitleidig-ironisch ins politische Kuriositätenkabinett stellen. Doch damit wird man der Sache nicht gerecht. Schließlich ist Emma eine verdienstvolle und ernst zu nehmende Zeitschrift.
Tierschutz wird von vielen politischen Zeitgenossen belächelt. Ganz zu Unrecht. Wer sich darüber informiert, wie unsere Gesellschaft mit Tieren umspringt, blickt bald in einen Abgrund der Grausamkeit. Die ganze legale Nutztierhaltung in Deutschland ist ein Skandal. Das Thema ist wert, endlich auf die politische Tagesordnung gesetzt zu werden.
Leider sorgt Emma dafür, daß es fürs erste in der Sektiererecke bleibt. Kostproben: Eine Autorin findet es völlig okay, wenn jemand einer Katze lieber hilft als einem hungernden Kind. Eine Philosophin kann zwischen Fleischessen und Vergewaltigen keinen kleinen Unterschied erkennen. Doch es kommt noch dicker. Das Ausnehmen eines – wohlgemerkt toten – Tieres beschreibt eine Reporterin folgendermaßen: „Wie auf einem gynäkologischen Stuhl liegt sie da ... Jetzt beugt er sich über den Unterleib der Hirschkuh, er rammt sein Messer zwischen die Schenkel ...“
Wer hat hier Schaum vorm Mund? Der Mann, der ein zum Verzehr bestimmtes Tier zerteilt, oder die Journalistin, die ihre sexuellen Gewaltphantasien nicht halten kann?
An anderer Stelle beschreibt eine Redakteurin einen Metzger, der seinen Schlachthof nach allen Erkenntnissen des Tierschutzes führt. Er nimmt nur Tiere von Biobauern aus der Umgebung. Seine Mitarbeiter prügeln nicht und töten nicht im Akkord wie in Großschlachthöfen üblich. Diesen vorbildlichen Mann, der mit vollem Namen genannt wird, stellt Emma in eine Reihe mit geisteskranken Mördern wie Honka, Bartsch und Jack the Ripper. So schreiben Journalistinnen, die sich über die Unmenschlichkeit der Bild-Zeitung empören.
Die Tierrechtsideologie, der sich Alice Schwarzer und ihre Freundinnen angeschlossen haben, kommt aus England und den USA. Im Gegensatz zu den Tierschützern fordern Tierrechtler ein absolutes Tötungsverbot für alle Tiere, ausdrücklich auch für Läuse und Kakerlaken. Wer ein Tier tötet – auch wenn es nicht grausam geschieht – ist ein Mörder. Tierrechtlertum ermöglicht Stellvertreterpolitik in Reinkultur. Denn im Gegensatz zur Arbeiterklasse oder den unterdrückten Frauen können Tiere keine eigene Meinung äußern. Dahinter steckt ein Weltbild, das sich die Natur als eine Art Sanatorium vorstellt, wo nur der schreckliche Mensch wütet. Doch Tiere kennen keine moralischen Gesetze. Das „freie Leben“ in der Natur bedeutet fressen und gefressen werden. Selbst die zehn Katzen der Emma-Redakteurinnen ernähren sich garantiert nicht von Mohrrüben.
Wir sollten Tier human behandeln. Doch wären sie gleichgestellte Rechtspersonen, müßten viele von ihnen sofort als Mörder verhaftet werden. Die Natur taugt nicht als Vorbild. Sie ist so, wie sie ist. Punkt.
Der Journalist Horst Stern,Foto: taz-Archiv
der die Schrecken der Massentierhaltung als erster ins Bewußtsein der Deutschen rückte, sprach sich für eine Tierliebe aus, die ihr Fundament im Wissen über die Tiere hat. Der Vogelkundler Einhard Bezzel warnte: „Gefühle reichen nicht aus, um Tiere zu verstehen.“ Doch die Tierrechtler und Emma fordern ausdrücklich den rein emotionalen Zugang zum Tier. „Das Wissen und die Liebe der Tierkenner“, schreibt eine Autorin, „hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem der Frauenkenner und Vergewaltiger.“
Niemand muß Experte sein. Doch wer zu einem Thema öffentlich Stellung bezieht, sollte sich wenigstens um Informationen bemühen. Wer das ablehnt, gehört zu Recht in die Ecke der Sektierer und Esoteriker. Wie wenig Wissen hinter der radikalen Pose ist, verrät unter anderem ein Satz, in dem es um einen Sodomisten geht, der „seinen Penis in den After oder die Vagina einer Henne rammt.“ Hühner haben jedoch weder das eine noch das andere. Sie besitzen, wie alle Vögel, nur einen einzigen Körperausgang. Ein Blick ins Biologiebuch hätte genügt.
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