Stadtmitte
: Schilderstürmerei als politisches Konzept

■ Straßenumbenennungen und das erbärmliche Versagen der SPD

Straßennamen sind Symbole. Der Umgang mit ihnen zeigt an, in welche Traditionslinien sich ein Gemeinwesen stellen und woher es die historische Legitimation für die Politik holen will. Der Berliner CDU/SPD-Senat hat sich dafür entschieden, möglichst viel „Linkslastiges“ auch in der Symbolik Ostberlins auszumerzen. Welche Aufgabe in dieser Stadt mit linksdemokratischer Tradition, welche politische Kultur! [Welche – mal wieder – typische Verdrängung! d. säzzer]

Die Opferliste ist schon lang. Auf ihr stehen eben nicht „nur“ – was auch schon problematisch wäre – Repräsentanten der DDR-Politik, sondern auch Jacques Duclos, Babeuf, Thimbaud, Indira Gandhi, Ho-Chi Minh, Lenin und Bersarin, dazu viele weniger bekannte KämpferInnen gegen Faschismus und Kolonialismus.

Die jetzt vorgelegte Liste könnte aus dem Notizbuch von Hauptmann Pabst stammen: Clara Zetkin, Rosa Luxemburg, nun endlich auch Käthe Niederkirchner, Karl Liebknecht, Karl Marx, Georgi Dimitroff – es liest sich wie die späte Rache. Wenn die Berliner Provinzpolitiker schon keine Weltgeschichte machen können, wollen sie diese aber neu ordnen. Wenn es nicht zum Heulen wäre, müßte man lachen. So aber: J'accuse.

Denn der gespenstische Umgang mit der Geschichte ist eben nicht – wie manche meinen – Ersatz für ausstehende andere politische Aktivitäten der Großen Koalition. Im Gegenteil: Sehr konsequent wird doch gegenwärtig durch CDU und SPD auch in Berlin mit dem Sozialstaat aufgeräumt, wird der Rechtsstaat gebeugt, wird eine demokratische Verwaltungsreform verhindert, werden geistige Toleranz und Freiheit als Ursachen für den „Sittenverfall“ diskreditiert. „Wiederaufbau des Schlosses, Wiedereinführung der Monarchie! Ihre Berliner CDU“, hat das „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“ in sarkastischer Überhöhung den politisch-konzeptionellen Ansatz gezeichnet, in den sich auch der Umgang mit den materiellen Zeugnissen der Vergangenheit, mit Erbe und Tradition einordnet. Ganz in diesem Sinne bleiben im Westteil der Stadt – und nur dort gibt es sie – alle Straßen verschont, die nach den preußisch-deutschen Schlagetots, nach Hohenzollern-Dynastie und selbst nach solchen benannt sind, die – wie 1933 Staatsrat Macksensen – für das Aufkommens Hitlers hohe Mitverantwortung tragen. Es gibt Dutzende von Wilhelm- und Luisestraßen, aber zweimal Niederkirchner und Marx ist jeweils einmal zuviel...

Dieses Traditions- und Politikkonzept trägt eindeutig die Handschrift der CDU. Aber wo bleibt die Gegenstrategie der SPD, der anderen Regierungspartei? Wo bleibt wenigstens ihre Gegenstimme?

Sanft wie der Orgasmus eines Kardinals war bislang alles, was die Sozialdemokraten zur Sache zu sagen wußten. Will man erneut – nun „wegen ein paar Straßennamen“ – die Koalition nicht aufs Spiel setzen? Das war bislang die Begründung der SPD für ihr laues Verhalten in der Koalition – sollte es nun zum hundertsten Mal strapaziert werden? Immerhin geht es um eine Koalition, die eigentlich keinerlei gemeinsame Grundlagen mehr haben dürfte – es sei denn, die Gier nach Macht hält alles zusammen. Wenn sie es wollte, könnte die SPD die CDU stoppen. Dann aber muß sie den Koalitionsfrieden oder auch die Koalition schlachten – billiger ist es nicht zu haben. Weder in dieser noch in anderen Fragen. Dr. Peter-Rudolf Zotl

Der Autor ist PDS-Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus.