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Odysseus trägt Leder

Antik und sicher spaßig: Euripides' „Kyklop“ an den DT-Kammerspielen  ■ Von Dirk Nümann

An manchen Theaterabenden ist man als Kritiker ein einsamer Mensch. Eingezwängt in der Mitte einer Reihe, erlebt man kopfschüttelnd wie um einen herum die Menge laut in die Hände klatscht, mit weit offenem Mund jubelt, gar eine Zugabe fordert, sich zweifellos köstlich amüsiert. Kann es wirklich sein, denkt man leicht irritiert, daß sich alle diese Leute täuschen? Hab' nicht ich mich diesmal getäuscht, vielleicht einen schlechten Tag, schlechte Laune gehabt?

Möglich. Mit einigen Zweifeln drängelt sich jedenfalls der berufsbedingt selbstbewußte Berichterstatter aus dem Deutschen Theater. Dort war immerhin ein altphilologisches Kuriosum zu bestaunen: „Der Kyklop“, das einzige vollständig erhaltene Satyrspiel der Antike. Darin erzählt Euripides, wie der Politiker Odysseus samt seinen Mannen in die Gefangenschaft eines primitiven Menschenfressers gerät; wie er sich mit List befreit und mit Tücke am Kyklopen rächt und dessen einziges Kyklopenauge ausbrennt.

Zum Satyrspiel (das nichts zu tun hat mit einem Satirenspiel!) wird die Geschichte nun durch das Auftreten der Satyrn, einer lärmenden Spezies von pferdeschwänzigen, bocksgestaltigen Kobolden, die Wein, Weib und Gesang lieben, ausgesprochen feige sind, aber mit allerlei Prahlereien und Frivolitäten für Amüsement sorgen. Antike Spaßmacher sozusagen. Besonders diese Satyrn müssen Regisseur Friedo Solter entzückt haben. Mit wilden Halbmasken versehen, halb Mensch, halb Pferd dürfen sie ausgiebig über die kahle, vom blauen Rundhorizont eingefaßte Bretterbühne poltern. Sie pöbeln, schwatzen, singen — „Yeah, yeah, yeah“ — flotte Songs unterstützt von flotten Rhythmen (die „Vielharmoniker“ unter der Leitung von Frank Raschke).

Zwischen diesen tierisch menschlichen Wesen kann sich Odysseus nur lächerlich machen. In geschmeidigen Lederstiefeln trippelt Dieter Mann als der Sieger von Troja mädchenhaft umher, sein wahres Gesicht ist durch mehrere goldene Masken verhüllt, sein beflissenes, ernstes Reden entlarvt den kühlen unsympathischen Politiker. Dagegen fliegen Eberhard Esche als Kyklop die Zuschauerherzen entgegen. Den Kopf wie ein stolzer Indianer geschmückt, verkündet er von hohen Kothurnen dem kleinen Odysseus sanft lächelnd, daß sein einziger Gott nur der Magen sei und er ihn deswegen essen werde.

Friedo Solter ist zweifellos ein guter Mensch, der seine rechtschaffene Botschaft wie Bonbons ins Publikum wirft: Der Barbar ist nicht der wilde Menschenfresser, sondern der zivilisierte Machtpolitiker. Das ist zwar nicht neu, aber man hört es immer wieder gern. Besonders, wenn es so zuckersüß daherkommt, wenn es fröhlich ist, wenn es Musik gibt, wenn prächtige Kostüme zu sehen sind, wenn es im fernen Griechenland spielt, wenn es unterhält. Was soll man also dagegen sagen?

„Der Kyklop“ von Euripides. Regie: Friedo Solter, Bühne: Hans- Jürgen Nikulka. Mit: Eberhard Esche, Franziska Hayner, Jürgen Huth, Dieter Mann, Kay Schulze, Bernd Stempel, Michael Walke, Axel Wandke.

Weitere Vorstellungen: heute und am 27.1. sowie am 12. und 14.2. Kammerspiele des Deutschen Theaters, Schumannstraße 13 a, Mitte.

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