: Franzi, das sieht doch blöd aus
■ Für den Berliner Geschmack maßgeschneidert: Wintergarten, die fünfte: „Hoppla“ jetzt gibt's Varieté
Als der Wintergarten im Herbst 1992 seine gewienerten Pforten öffnete, war das aufgeputzte Varietétheater ein hochgekochter Fremdkörper auf der Hurenmeile Potsdamer Straße. Seine bloße Existenz sollte schon die kulturelle Zeitenwende einläuten. Hier vis à vis des Potsdamer Platzes würde die neue, die hauptstädtische Mitte entstehen, meinten Peter Schwenkow, André Heller und Bernhard Paul. Aber der Aufschwung Ost ließ auf sich warten, immer noch ist der Potsdamer Platz Brachland, und die Kultur in Berlin prosperiert nicht, sondern siecht dahin.
Mit aller Kraft stemmten sich die Kleinkunstkönige Heller und Paul ein Jahr lang gegen den vom Kulturverfall bedrohten Berliner Geschmack. Im Dreimonatsrhythmus spielten sie ihre internationalen Trümpfe aus, jonglierten mal mit Keulen, mal mit Seifenblasen – bis ihnen jetzt endgültig die Luft ausging. Mit dem neuen, dem fünften Programm, begibt sich André Heller nun doch in die Niederungen des Berliner Humors. „Hoppla!“ nennt er seine Ansammlung banalster Komiknummern, die dem Berliner Massengeschmack auf den Leib geschneidert ist. Hoppla, jetzt kommt ihr! Und ich tauche ab.
Das Gerücht, der Wiener Meister habe schon lange keine Lust mehr an seiner Regieverpflichtung im Wintergarten, hält sich hartnäckig. Zwar ließ er sich eine Woche lang in Berlin blicken, empfahl dann aber taktlos ausgerechnet Peter Zadek als Gastspielregisseur und war zur feierlichen Premiere schon wieder abgereist. Keine Zeit für die Berliner Honneurs. „Mensch Franzi, das sieht doch blöd aus“, will Freund Schwenkow ihm erklärt haben, „wenn du nicht zur Premiere auf der Bühne stehst.“ Noch blöder sah dann allerdings aus, was auf der Bühne stand, als sich der Vorhang schließlich hob: Daß Oliver Groszer, der seinen Unterhalt damit verdient, bunte Bälle durch die Luft zu wirbeln, sich nach getaner Arbeit eine Zigarette ansteckte, indem er ein Streichholz auf dem Glimmstengel blancierte, war ja noch einigermaßen erstaunlich. Daß gleich danach die „Roger Stevenson's Puppets“ Marionettentheater machten, wie man es von den Touristenboulevards der Côte d'Azur kennt, verblüffte dann allerdings wirklich: Braucht man dafür einen Wintergarten?
Mit unerträglich schriller Stimme empfahl uns eine gewisse Roumina „meisterliche Überraschungen“, die sich dann als grandioser Blödsinn herausstellten: Der Stimmenimitator Harald Lutz verlegte sich auf eine fünfminütige Heinz-Erhardt-Rezitation, Kathy & James Taylor entblödeten sich nicht, ihre Tanznummer mit einer zerrissenen Hose zu bereichern, und Arturo Arpa vergeigte das lyrische Potential seines Schwarzen Theaters mit einer Opernparodie. Wem das alles noch nicht reichte, der durfte sich nach der Pause noch den ultimativ ältesten Gag des Varietés anschauen: Ein falscher Kellner muß für eine ausgefallene Nummer einspringen und legt dann – oh Wunder! – einen perfekten Breakdance aufs Parkett. Wäre da nicht Gérard Sety gewesen, der mit einer intelligenten Performance seine Verwandlungskunst unter Beweis stellte, man hätte sich noch darüber geärgert, die 2,50 DM für die Garderobe bezahlt zu haben.
Selbst das sonst so gutwillige Premierenpublikum klatschte nur mäßig gut gelaunt und – wie in Berlin durchaus üblich – im falschen Taktmaß, als die Wintergartencombo endlich den Höhepunkt des Abends, den finalen Aufmarsch der gesammelten Torheiten, einläutete: Hoppla, wir haben es geschafft.
Seit vergangenen Freitag ist der Wintergarten wahrlich kein glänzender Fremdkörper mehr in einer armen Stadt, er ist nicht einmal mehr ein kleiner Lichtblick. Nicht die Umgebung hat sich dem Haus angepaßt, sondern das Haus der Umgebung: Der Wintergarten ist jetzt so provinziell wie Berlin, so schrill wie die Damen der Nacht – eine gutbezahlte Unterhaltungshure.
Und trotz aller Klunkern doch entsetzlich billig. Mensch, Franzi! Klaudia Brunst
Bis 20.3., täglich 20 Uhr, samstags auch 23.45 Uhr, Wintergarten, Potsdamer Straße 96, Schöneberg.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen