piwik no script img

Risse in der Schutzhülle

■ Kunst im Preis-/ Leistungsvergleich (Teil 2): Rettungsinsel „Soziale Künstlerförderung“

Die Chance, daß Ihr nächster Taxifahrer ein ehemals Junger Wilder ist, hat sich deutlich erhöht. Die Zahl der Berufsaussteiger unter Künstlern (Ende der 80er Jahre schätzte man 90 Prozent) ist nach Erfahrung des heimischen BBK (Berufsverband Bildender Künstler) nochmals gestiegen; vor allem Frauen sind es, die ihren Kittel an den Nagel hängen. Die Ebbe auf dem Kunstmarkt und der Zusammenbruch der ABM-Hilfen werden als Gründe genannt – aber auch die spürbare Zurückhaltung des Staates als Kunstfreund und -förderer. Mit Skepsis begegnet der BBK daher der neuen Änderung der Bremer „sozialen Künstlerförderung“. Im Schutzraum für die heimischen Kunstschaffenden, bisher einmalig im Bundesgebiet, wird es enger: Seit Anfang des Jahres gilt eine neue Regelung, die sich am Niveau der Sozialhilfe orientiert. Mit einer wirklichen Künstlerförderung, heißt es beim BBK, habe das nichts mehr zu tun; „wir sehen das eher als eine Verschlechterung“.

In der neuen Fassung wird vor allem die „Bedürftigkeit“ der Künstler schärfer gefaßt. Angesichts der Notlage des gesamten Berufsstandes „mußten die Künstler nicht lückenlos nachweisen, wovon sie eigentlich leben“, sagt Hans-Joachim Manske vom Kulturressort; von dem Fördergeld allein – im Schnitt 15.300 Mark für ein Jahr – konnte ohnedies kaum jemand seine Existenz sichern. Dieser Betrag bleibt unverändert, aber alle Nebeneinkünfte müssen nun restlos offengelegt werden. Wer nebenher z.B. Arbeitslosenhilfe bezieht, kann sich den Antrag auf „soziale Künstlerförderung“ sparen.

Dabei konnte die Namensänderung in „soziale Künstlerhilfe“ gerade noch abgebogen werden. Das

Kurz vor der „Degradierung“

wäre auch „einer Degradierung“ nahegekommen, sagt Marikke Heinz-Hoek, selbst Künstlerin und Mitglied der Fachjury. Denn bisher hätten viele der Künstler die Förderung „wie eine Image-Aufwertung begriffen“. Den Titel „soziale Künstlerhilfe“ aber hätte wohl kaum jemand in seine Biografie eingetragen.

Im Sozialressort, aus dessen Etat die Förderung seit 1983 bezahlt wird, ist man immerhin glücklich darüber, den Künstlern überhaupt eine Form von Unterstützung anbieten zu können. Im vergangenen Herbst stellte der Senat das Programm nämlich zur Disposition.

Die beteiligten Ressorts mußten sich fragen lassen, „ob sich Bremen das im Vergleich mit anderen Ländern weiterhin leisten kann“, sagt Gertrud Janzer-Bertzbach aus der Abteilung für „wirtschaftliche Hilfen“. 490.000 Mark jährlich ließ

Echter Kunsthandel am simulierten Markt

sich Bremen noch 1993 die Existenzhilfe kosten. Nach der „Umsteuerung“ fällt dieser Posten jetzt weg: Jetzt soll das Geld aus dem großen Topf für „Hilfen zur Arbeit“ nach dem BSHG (Bundessozialhilfegesetz) genommen werden, verbunden mit den entsprechenden Auflagen an die Künstler.

Dabei stellte die „soziale Künstlerförderung“ nie ein kostenloses Stipendium dar. Es galt (und gilt weiterhin) „das Prinzip Leistung und Gegenleistung“, wie Manske erklärt. Das bedeutet: Die Künstler bieten der Stadt, vertreten durch eine Fachjury, im Laufe des Jahres Arbeiten im ungefähren Gegenwert der Fördersumme an. Nicht nur Bilder und Plastiken, sondern auch Installationen in Parks und auf Plätzen oder die Organisation einer Ausstellung. So ergab sich ein „simulierter Markt“ (wie es in einer Dokumentation des Kulturessorts heißt), der sowohl Lob und Tadel fand. Im Ressort glaubt man, neben der Existenzsicherung auch die künstlerische Produktion im Lande befördert zu haben. Das Geld habe „die Geförderten davor bewahrt, sich ihr Schaffenspotential durch zeit- und kräfteraubende Nebenjobs nehmen zu lassen“. Im BBK hegt deren Vorsitzende Ursula van den Busch Zweifel: „Gerade, wenn die Förderung sehr gut läuft, spornt dies nicht gerade zu einer vehementen künstlerischen Entwicklung an.“ Sie fordert eine „echte Künstlerförderung“, die über die nackte Existenzsicherung hinausreicht: „Es bleibt eine Krücke.“

An der Qualität der Förderung aber soll sich nichts ändern, erklären deren Befürworter. Denn neben dem Sozialhilfeanspruch wird auch weiterhin nach künstlerischen Kriterien ausgesiebt. Und an der Jury sind viele Künstler beteiligt. Wer Förderung bekommen will und somit Kunst an die Stadt verkauft, muß erstmal ganz handfest seine Begabung unter Beweis stellen. Allerdings: Derzeit schlagen wieder weniger Künstler diesen Weg ein. Während es für Manske „noch nicht absehbar“ ist, „wie sich die neue Regelung auf die Künstler auswirkt“, ist bereits bei den Anmeldungen im Dezember „ein ganzer Schwung weggeblieben“. Jurorin Heinz-Hoek zählte etwa 50 Bewerber, wo zuletzt um die 80 kamen. Und im BBK laufen die Kündigungen wegen Berufsaufgabe ein. Das hat zwar nicht direkt mit der neuen Regelung zu tun. Aber der „Trend“, sagt van den Busch, ist deutlich: Die Existenznot wird noch größer, und die Aussteiger sind wieder „fast alles Frauen“. tom

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen