piwik no script img

■ Giftbeutel schwimmen oben – die Gefahr wird sichtbarTüten statt Taten

Hunderte von Helfern warten auf die Giftsäckchen, die die deutsche Nordseeküste erreichen sollten. Millionen Container werden jährlich über die Weltmeere geschippert, über ihren Inhalt ist den Behörden wenig bekannt. Hunderttausende Container enthalten giftige Substanzen, so kann man vermuten, über den genauen Inhalt ist hier noch weniger bekannt. Alle drei Wochen gehen weltweit irgendwo Container von einem Schiff verloren, wo und mit welchem Inhalt wird nicht immer bekannt. Die giftigen Säckchen aber, deren Ankunft vor der deutschen Küste nun Hunderte von Helfern erwarten, sind nicht wegzuleugnen. Sie sind telegen. Und die acht mal zwölf Zentimeter großen Giftpacks schwimmen sichtbar an die Nordseestrände, sie sind beschriftet, sie tragen ein bekanntes Signet: Ciba Geigy. Das Gift bekommt einen Namen.

Die massenhaft anlandenden Tütchen zwingen die Gesellschaft, sich mit den Transportrisiken des kapitalistisch organisierten Industriesystems auseinanderzusetzen. Solches Gift kann bei Unfällen verlorengehen, und Unfälle sind menschlich. Doch das gesellschaftlich legitimierte Gewinnstreben verschärft das Risiko: Das Gift wird über Deck verstaut, lieber läßt der Reeder es über Bord gehen, als sein Schiff bei einem Unfall zu verlieren. Das Risiko eines solchen Unfalls oder Verlustes kann der Kapitän deshalb leichter eingehen, der Frachter schippert an stürmischen Tagen durch unruhige Meeresgebiete. Schließlich läßt die Festigkeit der Giftcontainer zu wünschen übrig. Bessere Container wären eben teurer.

Das alles ist ein Skandal, aber es ist auch systemimmanent. Wer auch die Transporte gefährlicher Güter möglichst billig und nach marktwirtschaftlichen Prinzipien organisieren will, muß mit solchen Ausfällen rechnen. Nicht gestellt bleibt bis dahin die Frage: Muß das Zeug, das hier transportiert wird, überhaupt hergestellt werden. Wer braucht dieses Gift?

Die Antwort ist einfach. Der Chemiekonzern braucht das Gift, um Umsatz und Gewinne zu machen. Die afrikanischen Bauern, denen die giftige Ware zugedacht war, könnten auf Pestizide verzichten, die in der Europäischen Union nirgends zugelassen und deren giftige Eigenschaften nicht genau bekannt sind. Der Vorteil wäre unverkennbar: Was nicht produziert wird, braucht nicht transportiert zu werden und kann nicht verlorengehen.

Entscheidungen, die später ansetzen, können das Giftrisiko nicht vermeiden, nur noch vermindern. Das muß gesagt werden, bevor das Geschrei nach mehr Sicherheit auf den Meeren einsetzt. Eine noch so wohlgemeinte Politik der Schiffahrtsicherheit bleibt eine Politik der Symptombekämpfung. Die Tütchen, die einmal auf dem Weg sind, wird man nicht wieder los. Hermann-Josef Tenhagen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen