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Die Geschichte der giftigen Tütchen

Ein Gift-Container schwamm angeblich durch den Ärmelkanal / 9,7 Millionen Container jährlich auf der Nordsee unterwegs / Streit um Kennzeichnungspflicht für Gifttransporte  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) – Erst langsam lichtet sich der Nebel, der den Weg jener giftigen Pestizidtütchen von Bord des Frachters Sherbro an der französischen Küste bis an die deutsche Nordseeküste umgibt. Das niederländische Verkehrsministerium geht nach bisherigen Recherchen davon aus, daß die Giftsäcke aus einem einzigen der 88 Container stammen, die der unter zypriotischer Flagge fahrende Frachter verloren hat. „Einer der Giftcontainer ist den Ärmelkanal heraufgeschwommen und erst Anfang Januar vor der belgischen Küste gesunken“, so der Sprecher des Ministeriums, Yves van Erp, gestern. 130.000 Säckchen mit Gift habe man an den holländischen Stränden inzwischen eingesammelt. Von den 88 verlorengegangenen Containern sind nach seinen Informationen vier mit dem Ciba- Geigy-Pestzidid Apron Plus und einer mit dem Pestizid Ridomil beladen bewesen.

Der Containerverlust im Ärmelkanal ist ganz offensichtlich kein Einzelfall. „So etwas kommt weltweit gesehen alle drei Wochen vor“, räumt der Sprecher des Bundesamtes für Seeschiffahrt und Hydrogeologie, Günter Heise, ein. Nach Angaben der Schutzgemeinschaft Deutsche Nordsee (SDN) werden jährlich allein 9,7 Millionen Container durch die Nordsee geschippert, davon rund fünf Prozent mit gefährlichen Gütern. SDN-Vorstand Hans van Wecheln rechnet vor, daß von 1988 bis 1992 insgesamt 184 Container dem Bundesamt als verloren gemeldet wurden, davon etwa 20 mit gefährlichen Gütern. Die Studie, auf die sich van Wecheln bezieht, stellt fest, daß solche Verluste häufig nicht korrekt gemeldet würden – eine Vermutung, der sich Thomas Henningsen von Greenpeace gestern anschloß. „Viele Kapitäne werden sich hüten, so was zu melden, vor allem, wenn in dem Container so ein Ekelzeug drin war.“ Da nützen auch Vorschriften, was auf Containerschiffen wie gelagert werden darf und wo ein Verlust gemeldet werden muß, wenig.

Zu dem ganzen Ärger mit Behörden kommt im Verlustfall nämlich auch noch ein wirtschaftliches Argument. Bei Schäden, die durch einen verlorenen Giftcontainer entstehen, gilt nach Angaben des Verbands Deutscher Reeder die normale Verschuldenhaftung. „Wenn jemandem etwas passiert, muß er den Schaden beim Reeder des Schiffes einklagen“, so Verbandssprecher Ralf Schneider. Was aber, wenn der nicht zu ermitteln ist?

Heikel aus der Sicht der Schiffahrtsindustrie ist auch die Frage, warum das Giftzeug häufig gerade auf Deck verstaut wird, wo es besonders leicht verloren gehen kann. „Vom Standpunkt des Schiffseigners müssen sie das verstehen“, erklärt beispielsweise Roger Kohn von der International Maritime Organization (IMO) in London . „Wenn sie das Gefahrgut unter Deck verstauen, gefährden sie bei einem Unfall das Schiff.“ Über Deck könne man gefährliche Ladung in kritischen Situationen einfach über Bord gehen lassen.

Bei der IMO, die für die Regulierung des internationalen Schiffsverkehrs zuständig ist, gibt es seit Jahren Streit über mehr Sicherheit und eine bessere Kennzeichnung bei Gefahrguttransporten. Die Umweltorganisation Friends of the Earth, aber auch die Bundesregierung, haben vorgeschlagen, solche Container gesondert zu kennzeichnen und sie mit einem Peilsender auszurüsten. Wenn die giftige Fracht verlorengeht, wäre sie dann leichter wiederzufinden. Ein Argument, daß auch im Falle der Pestizidcontainer nicht ganz von der Hand zu weisen ist, haben doch die Niederländer und Belgier den Container, aus dem das Gift stammen soll, noch immer nicht lokalisiert.

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