Der Wahlkampf ist der Müllers Lust: Jux-Kampagne erbost Bürgerliche

■ In Zürich treten zwei Kanidaten gleichen Namens an

Basel (taz) – Das „Müllern“ hat in Zürich eine gewisse Tradition. Im Sommer 1980, während der Jugendunruhen um ein autonomes Jugendzentrum, sprengten zwei als „Herr und Frau Müller“ auftretende Aktivisten eine Talk-Show im Schweizer Fernsehen. Mit Lockenwicklern und Krawatte angetan, persiflierten sie die Ressentiments des Zürcher Bürgertums und forderten etwa den Einsatz größerer Gummigeschosse durch die Polizei. Damals fand das recht unschweizerisch tönende Verb „müllern“ Eingang in den Wortschatz der lokalen Szene.

Am Vorabend der Wahl eines neuen Zürcher Stadtpräsidenten in sechs Wochen wird in der Bankenmetropole wieder gemüllert, was das Zeug hält: Ein linksalternatives Wahlkomitee zieht mit einem Andreas Müller in den Wahlkampf. Der will das hohe Amt im Falle seiner Wahl im Job-sharing mit seiner Co-Kandidatin ausüben. Ihr Name: Irene Müller.

Daß auch der gemeinsame Kandidat der bürgerlichen Parteien auf den Namen Andreas Müller hört, ist dabei alles andere als ein Zufall. Das Szene-Komitee hat seinen Kandidaten nämlich ganz gezielt unter den im Telefonbuch der Stadt aufgeführten 19 Personen mit dem Namen Andreas Müller aufgetrieben.

Was des einen Müllers Lust ist, geriet so zu des andern Müllers Last. Dem Außenseiter-Kandidaten der kleinen Schweizerischen Volkspartei, der – wie sollte es anders sein – zufällig ebenfalls Müller heißt, sind die Bürgerlichen nicht gram; unterscheidet sich Gody Müller doch wenigstens durch seinen Vornamen. Die Kandidatur des alternativen Andreas Müller hingegen löste im bürgerlichen Lager, das mit ihrem Müller den derzeitigen sozialdemokratischen Amtsinhaber Josef Estermann vom Sessel des Stadtpräsidenten boxen will, wütende Reaktionen aus: Von „Schindluderei“ und „Mißbrauch der Demokratie“ ist die Rede; die Jux-Kandidatur solle nur mutwillig ungültige Stimmen provozieren.

Die Wahlkampf-Groteske liegt im Zürcher Wahlrecht begründet. Das sieht bei Wahlen für die Stadtregierung keine vorgedruckten Wahlzettel vor. In den Wahlumschlägen liegt nur ein leerer Zettel, auf dem der Name eines Kandidaten handschriftlich einzutragen ist. Woher also sollen die Stimmenauszähler wissen, welchem Andreas Müller sie welche Stimmen zuordnen sollen?

Diese juristische Knacknuß schoben sich verschiedene Behörden in den vergangenen Wochen gegenseitig zu. Eine Kandidatur ist weder dem einen noch dem anderen Müller zu verbieten. Ein ergänzender Namenszusatz für beide Kandidaten wurde erwogen. Dann wären aber alle Wahlzettel mit dem bloßen Namen Andreas Müller ungültig, was am ehesten dem bürgerlichen Kandidaten schaden würde. Außerdem wäre ein Großteil der bisherigen Inserate und Plakate für Millionen von Franken umsonst gewesen.

Nun hat der sozialdemokratische Justizdirektor Moritz Leuenberger am Wochenende entschieden: Müller Zwo habe sich durch einen eindeutigen Zusatz vom bürgerlichen Namensvetter abzusetzen. Formale Begründung: Müller Zwo habe seine Kandidatur später eingereicht. Diese Entscheidung ist juristisch umstritten. Das alternative Wahl- Komitee wollte daher gestern beraten, ob es gegen die Anweisung Leuenbergers Rechtsmittel wegen Verstoßes gegen das Gebot der Gleichbehandlung einlegen wird.

Derweil ist der amtierende Stadtpräsident gegen solche „Müllerei“ gefeit: Das Zürcher Telefonbuch verzeichnet außer ihm nur einen weiteren Josef Estermann. Und der denkt nicht an eine Kandidatur. Thomas Scheuer