: Die Grenzen der Karpaten
Die Euroregion Karpaten stößt auf Widerstände in den Hauptstädten / Wirklich offen sind Osteuropas Grenzen noch nicht ■ Aus Sanok und Uzgorod Klaus Bachmann
Die ukrainische Kontrolle beim Verlassen von Uzgorod hat nur ein paar Minuten gedauert. Doch jetzt steht unser Bus schon eine dreiviertel Stunde, ohne daß sich ein slowakischer Beamter blicken läßt. Als der Bus schließlich losfährt, sind zwei Stunden sinnloser Warterei vergangen. Auf der Gegenspur steht eine lange Schnur privat importierter PKW mit deutschen Zollnummernschildern. Manche warten tagelang in der Schlange, bis sie abgefertigt werden. Ukrainische Reisende berichten, wie die Slowakei für einige Tage plötzlich eine 200-Dollar-Gebühr für den Grenzübertritt verlangte. Erst als die Regierung in Kiew zur gleichen Schikane griff, kam der Rückpfiff aus Bratislava.
Die Bezirke auf der slowakischen und ukrainischen Seite gehören beide zur Euroregion Karpaten, die im Frühjahr dieses Jahres entstand und Vertreter aus den verschiedenen Ländern an einen Tisch bringen soll. Doch vieles von den hehren Absichten steht lediglich auf dem Papier und scheitert bisher an den harten Realitäten in den Hauptstädten. An ein Überschreiten der Grenze im kleinen Grenzverkehr nur mit Personalausweis sei einstweilen nicht zu denken, findet Artur Wolczanski, Rechtsberater im Euroregionsbüro von Sanok, der derzeitigen Hauptstadt der Euroregion. „Das wäre ein Aufweichen der Staatsgrenzen.“ Aus diesem Grund gibt es auch noch keine transnationalen Wanderwege in den Karpaten. Denn eben vor einer Aufweichung ihrer Grenzen fürchten sich die Politiker in Warschau, Bratislava, Budapest und Kiew.
In Warschau warfen nationalkatholische Abgeordnete Außenminister Skubiszewski vor, er betreibe mit der Euroregion eine „Aufteilung Polens“. Die Regierung in Bratislava untersagte seinen Teilnehmergemeinden den vollen Beitritt wegen des Konflikts mit Ungarn um die ungarische Minderheit in der Südostslowakei. In der Ukraine traten der Euroregion nach der Karpatoukraine noch drei andere westukrainische Regionen bei – um separatistischen Tendenzen in Uzgorod entgegenzuwirken, heißt es unterderhand. In Przemysl protestieren seither Stadträte, weil sie von der Euroregion eine „Ukrainisierung Südostpolens“ befürchten.
„Die Euroregion ist eine gute Idee“, drückt sich Stanislav Durkac, Vizebürgermeister der slowakischen Gemeinde Bardejov vorsichtig aus, „besonders gegen den Rückgang des polnisch-slowakischen Handels. Aber große Politik wollen wir damit nicht machen.“ Bardejov verzeichnet inzwischen 18 Prozent Arbeitslosigkeit und eine tiefe Krise in der Landwirtschaft, hervorgerufen durch Inflation und Überproduktion. In Uzgorod ist die Arbeitslosigkeit wesentlich geringer, doch dort herrscht „Hypersuperinflation“, wie sich Vizebürgermeister Volodimir Lomonossov ausdrückt. Und will die Stadt etwas privatisieren, blockiert das Parlament in Kiew.
Jan Polec vom „Unabhängigen Forum der Privatwirtschaft“ in Jaroslaw ist ein eifriger Anhänger der Euroregion. „Wir sind zur Zusammenarbeit verurteilt“, findet er, „denn die Slowakei und die Ukraine sind unsere nächsten Nachbarn.“ Tatsächlich seien über das Büro der Euroregion in Sanok schon erste Joint-ventures und Handelskontrakte vermittelt worden, die Handelskammern hätten Kontakt aufgenommen. Firmen aus Nachbarländern nehmen inzwischen am galizischen Markt der Stadt teil, organisieren Ausstellungen und Messen. Aus Mitteln der EG wurde eine Datenbank finanziert. Mehr Aussichten, EG-Töpfe anzuzapfen, gebe es einstweilen allerdings nicht, gibt sich der Przemysler Woiwode Adam Peziol pessimistisch. Der Grund: Keiner der Euroregion-Anlieger ist Mitglied der Europäischen Union.
Peziol ist es allerdings gelungen, Zuschüsse des Ost-West-Instituts in den USA für einen Fonds zu erhalten, mit dem nun die touristische Infrastruktur verbessert werden soll: Verdienst durch Ferien auf dem Bauernhof statt Sozialhilfe für entlassene LPG-Bauern. Das Institut finanziert einstweilen auch die Kosten des Sanoker Büros. Mehr als vermitteln und Druck auf die Zentralen ausüben kann die Euroregion bisher kaum.
Ein Beispiel dafür sind die Jaroslawer Fleischfabriken, eine Staatsfirma, die zur Privatisierung ansteht und einer der besten Produzenten Polens. Täglich werden dort bis zu 1.000 Schweine zu Konserven und Frischwurst verarbeitet – doch die geht bisher vor allem in die EG und nach Skandinavien. Wegen der steigenden Preise für das Schlachtvieh würde es sich für Franciszek Huk, stellvertretender Chef der Handelsabteilung, lohnen, Vieh aus der Ukraine zu importieren. Wegen der EG-Hygienevorschriften geht das allerdings nicht. „Exportieren dagegen ist sinnlos“, erklärt er, „schließlich muß ein Ukrainer mindestens einen halben Monatslohn ausgeben, um sich eine unserer Fleischkonserven leisten zu können.“ So beschränken sich die Euroregion- Kontakte Huks auf die Slowakei, von wo ab und zu Tiere eingeführt werden. Auch für die zweite große Fabrik der Gegend, das örtliche Kleiderkombinat, lohnt sich der Ostexport nicht: 80 Prozent der Jacken, Hemden und Hosen gehen nach Frankreich, Holland, Italien und Deutschland.
Wegen der großen wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Teilnehmerländern steht deshalb die Frage der Grenzübergänge im Vordergrund. Die Regionalregierung der Karpatoukraine möchte gerne einen direkten Übergang nach Polen einrichten. Lomonossov: „Wir wären dann in einer Stunde in Polen, statt in vier über die Slowakei.“ Doch der Przemysler Woiwode, ansonsten treibende Kraft der Euroregion, ist aus ökologischen Gründen dagegen: Der Grenzübergang, so befürchtet er, würde das dortige Naturschutzgebiet und eine der unberührtesten Ecken Europas zugrunderichten. Ein weiterer ukrainisch-slowakischer Grenzübergang dagegen scheiterte bisher an politischen Hindernissen aus Bratislava, jetzt wird über ihn auf höchster Ebene verhandelt.
Mit Polen dagegen war bereits ein weiterer vereinbart, doch dann ging der Ukraine das Geld aus, weil neue Grenzkontrollstellen innerhalb der GUS als vorrangig eingestuft wurden. „Wir sind Geiseln Kiews“, meint Aleksander Peredri von der Uzgoroder Wissenschaftsakademie. „Wir haben alle Lasten der Grenze, aber weder Einnahmen davon noch Einfluß auf sie.“ Daran wird sich auch so bald nichts ändern.
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