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Dem die Rundenuhr schlägt

Danny Clark wird trotz der Qual im Oval der Sixdays von Jahr zu Jahr jünger und möchte auch mit 42 gerne ewig vorneweg im Kreis herumfahren  ■ Von Peter Unfried

„Vor 19 Uhr darf man den Herrn Clark keinesfalls wecken“, sagt die Dame am Hotelempfang, und die hat ihre Erfahrungen. Um 19 Uhr aber muß sie ihn wecken, denn dann ist es auch schon Zeit, die paar Meter hinüber zur Schleyerhalle zu gehen und wieder aufs Rad zu steigen. Die Stuttgarter Sixdays sind die vorletzten einer langen, kräftezehrenden Wintersaison, und Danny Clark sieht geschafft aus, als er, aus dem Zimmertrakt kommend, an der Rezeption erscheint. Dabei hat sein Arbeitstag noch nicht einmal begonnen. Er schläft viel dieser Tage, viel mehr als die anderen Fahrer, und wenn man ihn fragt, wie er sich fühle, antwortet er: „Ziemlich müde.“

Wenige fragen danach, viel mehr, wann er denn endlich aufhören wolle zu fahren. „Das ist die einzige Frage, die mir die Leute stellen“, brummelt er. Seit Jahren. Und stets antwortet er: „Nächstes Jahr.“ Aber dann „fahre ich im nächsten Jahr immer noch gut, und ich entscheide mich, noch ein Jahr zu fahren“. Doch die Leute, auch die Veranstalter, kriegen es langsam mit der Angst zu tun. Anstatt schleunigst zu vergreisen, sich einen Bierbauch zuzulegen und ab und an Altkluges von sich zu geben, fährt der Australier noch immer Fahrern davon, die fünfzehn Jahre jünger sind als er.

Mittlerweile ist Clark also 42, und seit einigen Wochen dürfen sich die Beunruhigten tatsächlich Hoffnungen machen, daß es nicht allein das Gesicht ist, das den Gesetzen der Biologie nicht mehr trotzen mag. Es meldet sich der Kopf, sagt Clark, plötzlich ist es der Kopf: „Das Härteste an der ganzen Sache ist die Motivation. Es gibt große Sportler, die kommen irgendwann an den Punkt, an dem sie sagen: Ah, fuck this! Jetzt reicht's.“ Seit sechs, sieben Wochen bemerkt er diese ihm bisher völlig unbekannte Geisteshaltung nun auch bei sich.

Stuttgart ist sein 204. Sechstagerennen. In fast 20 Jahren hat er 69 mal gewonnen (nur die Belgier Sercu, 88, und Pijnen, 72, siegten öfter), zuletzt vor einer Woche in Bremen mit dem Kölner Andreas Kappes. „Bremen“, sagt er, „wollte ich wirklich gewinnen und habe noch einmal eine ganze Menge geistiger Energie aufgebraucht, um das zu schaffen.“

Sein Intimfeind Patrick Sercu, Sportlicher Leiter dortselbst, rief ihm nach, er fahre zwar noch, müsse aber inzwischen um Verträge betteln. Selbst der Stuttgarter Veranstalter Winfried Holtmann, ein Freund Clarks, glaubt, er finde einfach „den Absprung nicht“, und noch mehr Leute glauben zu wissen, warum: Weil Clark nicht wisse, was er sonst tun solle, außer eben Radfahren.

Danny Clark hat auch das sicher tausendmal gehört, und er kann stets nur sagen, was er immer sagt: „Das Leben ist schwierig. Man kann es nicht jedem recht machen.“ Aber er sagt auch: „Ich liebe diesen Sport.“ Und er erzählt von den Jagden, den Ausreißversuchen und den Anfeuerungsrufen der Zuschauer. „Es stimmt, ich weiß nicht, was ich tun werde, wenn ich aufhöre“, sagt er, „aber das weiß eine ganze Menge anderer Leute auch nicht.“

Es ist so: In seiner Heimat Tasmanien ist er berühmt, doch auf dem australischen Festland? „Wer kennt Danny Clark?“ Frage Danny Clark. „Danny Clark ist nur ein Name, mehr nicht.“ Außerdem: Freunde in der Sechstagebranche hat er sich in seltener Konsequenz nie gemacht. Als Rennleiter etwa wird ihn kaum einer einstellen mögen, und „es wird auch keine große Firma kommen, die sagt: Danny, wir wollen Dich.“

In Deutschlands Hallen ist das anders, da will man ihn. Wo immer er fährt, ist Clark der ziemlich unbestrittene Liebling der Zuschauer. Das braucht er, auch das will er nicht verlieren. „Es ist nicht nur das Gewinnen und Geldverdienen, es ist auch der Versuch, den Zuschauern etwas zu bieten.“ Wenn die „schwarze Neun“ aus dem Feld herausschießt, und die ansonsten trägen Spektatoren plötzlich wie elektrisiert sind, der Hallensprecher zu brüllen beginnt, alles fasziniert den Blick auf die Bahn richtet, dann holt Danny Clark das Letzte aus sich heraus, mehr als alle anderen.

Nach Stuttgart kommt jetzt Kopenhagen, dann geht er zurück nach Australien mit bereits unterschriebenen Verträgen für München und Dortmund im nächsten Jahr. Allerdings einseitigen: Fühlt er sich im Herbst gut, kommt er wieder, wenn nicht, behauptet er, dann nicht. „Selbst wenn das gutes Geld ist“, sagt er, den Geld immer interessiert hat, „ich möchte nicht am Ende blöd aussehen.“ Regenerieren, ausruhen wird er nicht. „Ich mache nie eine Pause. Ich fahre immer weiter.“ Im März wird er in Argentinien Straßenrennen fahren. „Im Sommer denke ich nicht einmal an die Sixdays“, sagt er. „Ich liebe die Straße. Sich die Berge raufquälen und solche Sachen, ich liebe das so, daß ich immer weiterfahre. So einfach ist das.“

Er gähnt. „Ich bin heute ein bißchen müde“, sagt Danny Clark. Dann geht er in die Halle, steigt aufs Rad und gewinnt die „Große Jagd“ auf den letzten Metern gegen den Schweizer Übersprinter Bruno Risi (26). „Ich glaube nicht, daß ich der Beste auf der Bahn bin“, sagt er. „Einer der Besten.“ Vor dem letzten Tag in Stuttgart sind Clark und Partner Andreas Kappes Dritte. „Vor zwei Jahren, sogar letztes Jahr“, sagt Danny Clark, „dachte ich noch, daß ich der Beste sei.“

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