piwik no script img

■ DaumenkinoKaspar Hauser

Armer Kaspar, deutscher Michel. Jeder kann was draufkritzeln auf dies unbeschriebene Blatt; ein Gutzkow kann's und noch dazu von der „Trägheit des Herzens sprechen“, ein Reinhard Mey kann es und Peter Handke schon erst recht. Unter dem Logo „Jeder für sich und Gott gegen alle“ diente er Herzog als Speerspitze gegen die Wortlastigkeit der Berliner Seminaristen. Weder gegen Intelligenzforscher noch Romantiker konnte er sich je wehren.

Der Regisseur Peter Sehr (mit Assistenzerfahrung bei Achternbusch: wie macht man sowas?) hat nun versucht, den Fall Hauser als deutschen Kriminalfall zu behandeln. Im Presseheft finden sich Skizzen vom Grundriß des Verlieses, sowie sorgfältig edierte Stammbäume der Häuser Baden und Bonaparte und kleine Kurzbeschreibungen der Akteure im „politischen Plot“. Und was für Akteure: André Eisermann, anämisch-begabt, chargiert weit über den grünen Klee, zittert, stottert, staunt sich als Kaspar durch die Welt; dann die Thalbach als geile Intrigantin Gräfin Hochberg, die Kaspar als Erbkonkurrenz beiseite schaffen läßt; Ochsenknecht once again als gelackmeiertes Schtonktier und Udo Samel, die erfreulichste Erscheinung dieses Films, als der Herr Professor Daumer, der ein bißchen zuviel Erasmus von Rotterdam gelesen hat, aber sonst o.k. und lieb zu Kaspar ist. Bis eben Lord Stanhope die Szene betritt, der dem Kaspar Klassenbewußtsein beibringt und einige andere Dinge auch: in seinem Badezuber nach der Seife fischen, zum Beispiel.

Man wird das Gefühl nicht los, es ein bißchen mit einem Wendedrama zu tun zu haben: da ist der Ahnungslose, der wird verschaukelt; hat es aber irgendwie auch nicht anders gewollt; da sind die Ränkeschmieder, die Philister, und von außen ragt grinsend das europäische Gesicht in Udo Samels kleine Stube. Alle Weiber sind sowieso intrigant oder schwächeln, aber das wußten wir ja schon. Wie er da so in seinen Herbstfarben daherkommt, möchte man diesen Film in einem hölzernen Setzkasten aufbewahren, gleich neben den getrockneten Gänseblümchen und dem Wacholdergeist. mn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen