: Wenn prominente Politiker die falsche Adresse haben...
■ Das neue Landeswahlgesetz in Brandenburg löste das Problem mit dem „Lex Hildebrandt“
In den neuen Bundesländern werden derzeit die ersten eigenen Landeswahlgesetze verabschiedet. Bisher galt dort noch das Wahlrecht, das zu Zeiten der letzten DDR-Regierung unter Lothar de Maizière geschaffen wurde. Besonders erbittert wird in Deutschlands Osten über die Fünfprozenthürde diskutiert. Gerade die Bürgerbewegungen sehen in dieser Regelung eine Hürde für basisnahe Politik. Jedoch haben solche Argumente auch in den neuen Ländern keine Chance, ist die Fünfprozentklausel doch im Interesse der großen Parteien. Zeichen der Zeit wollen alle Parlamente östlich der Elbe hingegen setzen, indem sie die Zahl der Abgeordneten verringern. Ein Wink für den deutschen Bundestag, der sich bislang weigert, die Zahl der hochdotierten Volksvertreter auf fünfhundert zu begrenzen.
Brandenburg:
Den meisten Brandenburgern war die Diskussion über das Wahlgesetz – wenn überhaupt – nur unter einem Stichwort geläufig: „Lex Hildebrandt“. Die ohne Punkt und Komma sprechende Arbeitsministerin gleichen Namens wohnt nämlich in Berlin und strebt für die nächste Legislaturperiode neben dem Regierungsamt auch einen Stuhl in den Reihen des Potsdamer Parlaments an. Sie ist nicht die einzige prominente Politikerin mit der falschen Adresse. Auch Bündnis- Fraktionschef Günther Nooke und PDS-Chef Lothar Bisky sind Hauptstädter.
Der Landtag löste das Problem elegant mit der Formel, daß für das aktive und passive Wahlrecht nicht der „Hauptwohnsitz“, sondern der „ständige Wohnsitz“ entscheidend sein soll. Ein Dachkämmerlein als Meldeadresse oder der Potsdamer Arbeitsplatz – als ständiger Aufenthaltsort – ist hierfür ausreichend. Die CDU polemisierte: „Hier werden Nicht-Brandenburger von Nicht-Brandenburgern zu Brandenburger Volksvertretern gemacht.“
Neben der üblichen Fünfprozentklausel weist das neue Wahlgesetz eine Besonderheit als Zugeständnis an die kleinen Parteien FDP, Bürgerbündnis und Bündnis 90/Die Grünen auf: Bereits ein Direktmandat hebt diese Klausel auf. Eine weitere Ausnahme wurde für die sorbische Minderheit in der Niederlausitz gemacht. Sie sollen schon bei weniger Stimmen ein Mandat erhalten, unabhängig vom Erfolg der Direktkandidaten.
Sachsen:
Ganz im Zeichen der Sparsamkeit steht auch das Landeswahlgesetz im „Freistaat Sachsen“: Nur noch 120 statt bisher 160 Abgeordnete werden nach der Wahl am 11. September in den sächsischen Landtag einziehen. Je größer die Fraktion, desto schöner ist heute schon die Balgerei um sichere Listenplätze. So wird bei den Christdemokraten, selbst bei einem guten Wahlergebnis, jede(r) dritte den Landtagsjob verlieren.
Bereits im Juli 1993 wurde in Dresden das Landeswahlgesetz verabschiedet. Die Parlamentarier stritten vor allem um das Auszählverfahren für Volkes Stimme und um wirksame Schranken gegen den Einzug von einstigen Stasi-Dienern. Die Frage nach dem Auszählverfahren hatte die CDU gleich zu ihren (momentanen) Gunsten entschieden. Sie wählte das d'Hondtsche Höchstzahlverfahren, das die Parteien mit den meisten Stimmen bevorteilt.
Der Streit darüber, ob wieder gewählte ehemalige IMs in den sächsischen Landtag einziehen können, ist dagegen noch nicht ausgestanden. Nun müssen zwar alle Kandidaten vor der Wahl eine schriftliche Erklärung abgeben: Ihnen sei bekannt, daß erwiesene Stasi-Mitarbeit zur Aberkennung des Mandats führen könne. Nach der Wahl soll sich ein Bewertungsausschuß die Unterlagen der Gauck-Behörde vornehmen und eine „Beschlußempfehlung“ verfertigen.
Diese Empfehlung ist aber nicht bindend. An der Frage, was geschehen soll, wenn sich ein Kandidat schon vor der Wahl öffentlich zu seiner Stasi-Vergangenheit bekennt und trotzdem (oder deshalb) gewählt wird, scheiden sich noch heute die DemokratInnen. Landtagsvize Heiner Sandig (CDU): „Wenn jemand trotz erwiesener IM-Tätigkeit gewählt wird, ist das auch Demokratie.“ Alle Fraktionen haben sich jetzt für eine bundesweite „Aktion weiße Weste“ ausgesprochen. Die PDS aber möchte die Recherchen auch auf eventuelle Mitarbeit in anderen Geheimdiensten ausgeweitet wissen.
Sachsen-Anhalt:
Bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt werden unabhängigen Bewerbern und kleineren Parteien größere Chancen eingeräumt als in vielen anderen Ländern. Der Direktkandidat einer Partei, deren Landesliste an der auch in Sachsen geltenden Fünfprozentklausel scheitert, kann dennoch in den Landtag ziehen, wenn er in seinem Wahlkreis die absolute Mehrheit der Stimmen gewinnt. Das gleiche gilt auch für parteiunabhängige Kandidaten. Grundsätzlich müssen nach dem Landeswahlgesetz die Direktkandidaten einer Partei in einer Urwahl bestimmt werden. An dieser Regelung scheitert derzeit die SPD regelmäßig. Ihr mißlingt es immer wieder, bei der Aufstellung der Direktkandidaten die erforderliche Mehrheit von mindestens 50 Prozent der Parteimitglieder eines Wahlkreises zur Wahlversammlung zusammenzurufen. Als Alternative läßt das Wahlgesetz zwar auch die Aufstellung der Direktkandidaten durch Delegiertenversammlungen zu, die Delegierten müssen aber wiederum in einer Urwahl gewählt werden. Die SPD lehnt das kompliziertere Verfahren ab und hält sich an das Prinzip der unmittelbaren Direktwahl. asp/dek/löb
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