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Eine blasphemische Feministin

Eine Fatwa bedroht Bangladeschs berühmteste Schriftstellerin Taslima Nasrin  ■ Von S. Kamaluddin

Salman Rushdie ist sie nicht. Taslima Nasrins literarischer Ruhm reicht, anders als im Fall des indischstämmigen britischen Schriftstellers, kaum über die Grenzen Bangladeschs hinaus. Beider Literatur hat jedoch fundamentalistische Muslime empört, und einige lokale islamische Gruppierungen haben sich nun gegen Nasrins Werke verschworen.

Eine eher obskure religiöse Gruppe aus der nordöstlichen Stadt Sylhet, die „Soldaten des Islam“, hat Nasrin Blasphemie vorgeworfen und sie der Verschwörung gegen den Islam beschuldigt. Auf einer Demonstration am 23. September letzten Jahres setzte man eine Belohung von 1.250 US- Dollar für die Ermordung der überzeugten Atheistin aus und forderte die Regierung auf, die umstrittene Schriftstellerin innerhalb von 15 Tagen zu verhaften und zu exekutieren.

Sylhet und Umgebung sind wirtschaftlich und sozial rückständige Gebiete des Landes, und der Einfluß der „Soldaten des Islam“ ist völlig auf den Nordosten beschränkt. Da der Islam jedoch [seit 1988, A.d.Ü.] Staatsreligion ist, kann diese Gruppierung für das Regime in Dhaka zu einem ernsthaften Problem werden. Ohnehin hat die Regierung Schwierigkeiten genug, die durch zunehmend gewaltsame Auseinandersetzungen an den Universitäten zwischen fundamentalistischen und säkularen Studentengruppen weiter angeheizt werden. Die Gewalt auf dem Campus ist bereits im Parlament zum Thema der Auseinandersetzungen geworden, wobei von der Politik die völlige Loslösung von jeglicher Religion gefordert wurde.

Zwar hat die wichtigste fundamentalistische Parlamentsfraktion, die Jamaat-e-Islami, zu den Auseinandersetzungen über die 31jährige Schriftstellerin Nasrin zunächst geschwiegen, Experten sind jedoch der Meinung, daß die Kontroverse um sie politisch motiviert ist. Ein Grund für Jamaats Schweigen war möglicherweise, daß die Partei zweitweilig von anderen Problemen abgelenkt worden war.

Anfang September gab es eine Welle von Morden an mehreren Universitäten, nachdem studentische Aktivisten der parlamentarischen Parteien, einschließlich Jamaat, sich zunehmend bewaffneten. Ein aufgestörtes Parlament diskutierte die Situation, und es gab Stimmen aus allen Parteien, die ein Verbot der Jamaat-Partei und ihrer diversen Massenorganisationen forderten. Die meisten eher gemäßigten Parteien riefen zum Verbot von jeglicher „Politiik auf der Grundlage von Religion“ auf – woraufhin die Jamaat-Leute ihre parlamentarischen Widersacher umgehend beschuldigten, „im Land den Islam vernichten zu wollen“.

Religiös motivierte Debatten über Nasrins Roman sind nicht auf die Islamisten beschränkt. Da ihr letzter Roman „Lajja“ (Schande) sich auch mit der Hindu-Minderheit von Bangladesch befaßt, haben auch hinduistische Fundamentalisten jenseits der Grenze im indischen Staat Westbengalen versucht, Kapital aus der Affäre zu schlagen. Der 70seitige Roman „Lajja“ nimmt den Backlash in Bangladesch zum Anlaß, der sich vollzog, nachdem Hindu-Fundamentalisten im Dezember 1992 in Ayodhya (Uttar Pradesh, Indien) eine Moschee zerstörten. Zwei Monate nach den Ereignissen (im Februar 1993) veröffentlicht, malt der Roman in grellen Farben aus, wie Bangladesch-Muslime aus Rache Hindu-Frauen vergewaltigen. Innerhalb von zwei Monaten wurde das Buch in Bangladesch verboten – nach Protesten konservativer Muslime.

Konservative haben mehr als einen Grund, sich über Nasrin aufzuregen. Die erklärte Feministin ist ein Tabuthema in dieser traditionell muslimischen Gesellschaft. Von Beruf Ärztin, hat sie sechs Gedichtbände, fünf Romane und drei Aufsatzbände veröffentlicht. Das Anliegen, von dem alle ihre Arbeiten angetrieben werden, ist die Kritik des Chauvinismus, des islamischen Klerus und des Mangels an Frauenrechten im Islam. Sie berührt mit ihren Arbeiten äußerst heikle soziale Themen, um die die meisten Schriftsteller des Landes einen Bogen machen. Ihre Bücher sind sicher vor allem deshalb bei jungen Leuten zu Bestsellern geworden.

Die Meinungen über die Qualität ihrer literarischen Produktion sind so verschieden wie ihre Kritiker selbst. Viele Persönlichkeiten der literarischen Szene, so auch Professor Anisuzzaman von der Universität von Dhaka und Emdadul Huq Milan, Kritiker und selbst Bestsellerautor, finden, daß sie das Thema der sich bekämpfenden Religionen und Minderheiten in „Lajja“ zwar falsch angefaßt hat, bewundern jedoch ihren Mut, sich so klar zu äußern.

Nach Milans Ansicht dominieren Nasrins Werke zwei Hauptthemen: Sex und Religion. Teenager verschlängen ihre Bücher wegen des Sex, Kleriker läsen sie, um nachzusehen, welchen Streit sie dieses Mal vom Zaun gebrochen hat. Anisuzzaman widerspricht dem und meint, daß sie Teenager vor allem wegen ihrer rebellischen Haltung fasziniere. Wenn die jungen Leute nur an Sex Interesse hätten, gäbe es eine Menge anderer Bücher, an die sie sich halten könnten.

Andere liberale Beobachter schätzen ihre „klare Stimme und eindeutigen Überzeugungen“, empfinden sie jedoch als Extremistin, die vom Thema Männer geradezu besessen sei. Baby Moudud, eine Journalistin, die sich selbst als Frauenrechtlerin versteht, nennt Nasrin eine „obsessive Person“, unterstützt sie jedoch in dem, was sie tut.

Nasrin bezeichnet sich zwar selbst als Extremistin, distanziert sich aber von dem Etikett der „Männerfeindin“. Zwar gebrauche sie in ihren Texten eine harte Sprache gegen Männer, weil sie die Frauen so unendlich schlecht behandelten und mißachteten. „Aber ich habe nichts gegen einzelne Männer. Ich protestiere nur gegen ein System, das Männern beibringt, Frauen wie Gebrauchsgegenstände zu behandeln, als Objekte, die nur zu ihrer Unterhaltung auf der Welt sind.“

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