Glück hat, wem die Frau stirbt

„Ich sehe das alles und gehe auf ein besseres Leben zu.“ Auszüge aus Zeitungskolumnen  ■ Von Taslima Nasrin

1

Am 28. März stand in den Tageszeitungen des Landes eine dringende Bekanntmachung der Regierung von Bangladesch. Dort hieß es: „Zur Wahrung der sozialen und religiösen Werte der Frauen müssen alle Saris (für erwachsene Frauen), die in Bangladesch hergestellt werden, die folgenden Maße aufweisen: 1,22 Meter mal 5,54 Meter. Alle Hersteller haben sich innerhalb von sieben Tagen auf diese Maße einzustellen. Wer hiergegen verstößt, wird juristisch zur Verantwortung gezogen.“

Wir müssen also glauben, daß die sozialen und religiösen Werte der Frauen bisher in Gefahr waren, weshalb es nötig geworden ist, sie durch weitere und längere Saris zu sichern. Größe und Farbe eines Saris hängt ab von Größe, Geschmack und Geldbeutel einer Frau. Daß uns die Regierung mit dem Maßband in der Hand die Saris anmessen will, ist nicht nur obszön, sondern auch jenseits des Gesetzes. Textilhersteller produzieren Saris verschiedener Größe, je nach Nachfrage. Ich trage Saris, die zwölf Ellen lang sind, und zwar nicht aus irgendwelchen religiösen Wertvorstellungen heraus, sondern weil es mir so paßt. Für die Frauen armer Dorffamilien, die draußen arbeiten müssen, wäre so ein Sari weder bequem noch akzeptabel. Für sie sind Zehn-Ellen- Saris angenehmer.

Viele Frauen dieses Landes müssen in ihrer Armut einen Sari sogar zerschneiden und drei daraus machen. Manche müssen ihn nach dem Waschen auf dem Körper trocknen lassen, weil sie keinen zum Wechseln haben. Andere betteln von Haus zu Haus um Lumpen, mit denen sie ihre Scham bedecken können. Was bedeutet für sie wohl der Unterschied von fünf und 5,5 Metern? Die Regierung hat die Religion auf das Niveau der Breite und Länge unserer Saris heruntergeholt. Es ist also die Regierung, die die Religion entwürdigt.

2

Schon zum zweiten Mal haben muslimische Führer und Intellektuelle meinen Tod gefordert. Das erste Mal, weil ich im Zusammenhang mit Salman Rushdies „Satanischen Versen“ die Freiheit der Schriftsteller verteidigte. Jetzt haben sie in einer der großen Tageszeitungen des Landes erklärt, ich verdiente den Tod, weil ich mich gegen die Purdah-Vorschriften1 ausgesprochen habe. Ich kann mir gut vorstellen, daß sie mich eines Tages unter Allah-ist-groß-Rufen umbringen. Nicht, daß mir das Angst macht. Schließlich benutze ich auch die Straße, obwohl Unfallgefahr herrscht. Und benutze ich nicht auch elektrische Maschinen, obwohl man sich durch sie einen Schlag holen kann? Natürlich tue ich das. Und ich muß auch in einer Gesellschaft weiterleben, selbst wenn ich weiß, daß sie nicht aufhören wird, wie ein Tiger nach mir zu schnappen. Ich weiß nicht, ob es Männer gibt, deren Stimme noch nicht völlig eingerostet ist und deren Feder noch nicht die Sprache des Kompromisses gelernt hat. Vielleicht gibt es ja einige, denen es nur zu peinlich ist, Seite an Seite mit einer Frau zu stehen – auch wenn diese die Seite der Wahrheit ist.

Vielleicht sollte ich mich von der Sünde reinigen, als Frau geboren zu sein, und mich ganz still einfach töten lassen.

3

„Glück hat, wem die Frau stirbt, Unglück der, dem das Vieh eingeht“, lautet ein altes Sprichwort, das auch jetzt, an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, noch oft zu hören ist. Stirbt dir die Frau, holst du dir eine neue. Für neues Vieh jedoch mußt du zahlen. Eine neue Frau dagegen bringt Geld mit. So kommt es, daß du deine Frau ruhig vernachlässigen kannst, nicht aber dein Vieh. Kein Wunder also, daß das Vieh mehr wert ist als die Frau.

Neulich wurde ein Mädchen aus Bangladesch gegen sechs Kopf Vieh, das man aus Indien herüberschmuggelte, verhökert. Das zu hören hat viele Leute entsetzt. Ich aber bin nur ein wenig erstaunt. Und ich kann nicht anders, als mich über die gute Nachricht zu freuen: daß man sechs Stück Vieh kriegt für ein einziges Mädchen. Das hört man gerne, denn wer die sechs Viecher kriegt, macht wahrlich das bessere Geschäft. Sechs dicke, starke Tiere aus Indien sind gewiß schöner, produktiver und wertvoller als ein schmächtiges bengalisches Mädchen. Ob die, die das Mädchen kriegen, nicht gar die Betrogenen sind? Wo Frauen keinen Heller wert sind, hat man sie durch den Tausch gegen sechs Stück Vieh geehrt. Ich möchte den Viehschmugglern meinen Dank sagen.

Denn in unserer höflichen Gesellschaft zahlt man keinen Preis für Frauen. Man tötet das Mädchen im Mutterleib. Oder man gibt einem der Schmuggler sechs Stück Vieh für ein einziges, armes und unglückliches Mädchen! Sie wird auf dem Fleischmarkt enden. Na und? Das ist auch bei uns nichts Neues. Unsere ehrbaren Frauen machen es kostenlos, und eine Ehrlose kostet sechs Stück Vieh. Es wäre doch schön, wenn dieses Ereignis den Preis der Frauen ein wenig heben könnte.

4

Taslima Nasrin ist gestorben. Ja, sie war tot. Jetzt lebt sie wieder, atmet wieder, läßt frische Luft in ihre Lungen strömen, riecht das Grün, taucht ein in Sonnenlicht, Regen und Mondenschein. Sie hat gesehen, wie entsetzlich und häßlich der Tod ist. Sie hat seine Obszönität gesehen, den Ekel. Eine, die den Tod erlebt hat, weiß, wie wunderbar, welch ein Glück es ist, zu leben. Ich lebe. Und ich sage der halbnackten Frau, die auf dem Bürgersteig ihren Reis auf einem provisorischen Feuer kocht: Lebe weiter. Ich sage der Ängstlichen, die mit dem vielen Make-up auf ihrem Gesicht auf der Parkbank sitzt: Bleibe am Leben. Der traurigen Frau, die geschmückt in ihrer klimatisierten Villa sitzt: Lebe. Der unschuldigen Braut des Trunkenboldes, der spät nachts nach Hause kommt, sage ich: Bleibe am Leben. Bleibe am Leben, Frau – lebe. Lebe im Überfluß. Denke nicht an sie. Das sind keine Menschen, das sind Männer. Sie tun dir heimlich Gift in deinen Tee. In einer dunklen Nacht legen sie dir einen Strick um den Hals und hängen dich auf am Ast des nächsten Baumes. Sie kommen in Banden und vergewaltigen dich; sie erstechen dich auf der Kachpur-Brücke, sie stoßen dich unter einen Zug, sie schlitzen mit einer scharfen Klinge deine Luftröhre auf, sie übergießen dich mit Benzin und setzen dich in Brand. Das sind keine Menschen, das sind Männer. Und dann haben sie sich diese Religion ausgedacht, in Jerusalem, im Himalaya und auf den Hera-Bergen. Sie haben diese Religion für heilig erklärt. Im Namen dieser Heiligkeit haben sie dich verbogen und verstrickt. Sie haben dir den Platz zu ihren Füßen angewiesen; sie schicken dich in die Küche, sie taxieren dich, sie holen dich in ihr Bett, sie werfen dich wieder hinaus, wie es ihnen gefällt. Sie verhüllen dich, und wann immer es ihnen gefällt, entkleiden sie dich. Sie treten dich und werfen dich raus. Das sind keine Menschen, das sind Männer. Frau, lebe. Atme die frische Luft. Der Himmel gehört dir mitsamt seinen Sternen. Die Blätter gehören dir, dieser Wald, diese Wolken, diese Wasser, diese Winde. Diese Erde, dies Gras, diese Blumen, das Meer gehört dir. Sie sind nicht wichtig für dich, diese Männer. Sie werden dich nur verschlingen, dich in Stücke reißen. Sie zermahlen dich zu Staub. Das ist es, was sie tun, das sind keine Menschen, das sind Männer. Wenn du danieder

Fortsetzung nächste Seite

Fortsetzung

liegst, dein Körper übersät mit Wunden von ihnen, wird selbst der Hund, der an dir riecht, noch traurig, und die Krähen und Geier fühlen Erbarmen. Wer selbst dann noch einmal zubeißt, ist nicht Schwein oder Schlange, sondern wieder ein Mann. Steh auf, Frau. Stehe auf und mache den Rücken gerade. Gehe. Diese Straße gehört dir. Diese Felder gehören dir. Diese Ernte gehört dir. Alles, was du siehst, bis zum Horizont, es gehört dir.

Ich habe den Tod gesehen. Ich habe das Feuer gesehen. Ich habe der Schlange in den Schlund gesehen. Ich habe die Dunkelheit gesehen. Ich habe die Abgründe gesehen. Ich habe die Fallstricke gesehen. Ich sehe das alles und gehe weiter auf ein besseres Leben zu. Ich sehe die Eisenbahnbrücken und überquere sie, ich gehe über die Kachpur-Brücke, und ich gehe durch furchterregende Dunkelheit. Ich bin stolz, daß ich eine Frau bin. Und weil ich eine Frau bin, ist jeder Blutstropfen in mir rein.

Wenn du eine Frau bist, überwinde den Tod und lebe. Sie werden dir von Keuschheit reden und dich verbrennen wollen; sie werden dir sagen, was Weiblichkeit ist, und dir vorschwärmen von den Freuden der Mutterschaft. Sobald du ihnen in die Falle gehst, küssen sie dich und holen dich zum Tanz, sie bauen Mauern um dich und legen dir goldene Fesseln an und füttern dich, als wärest du ein Papagei im Käfig.

Wenn du ein Mensch bist, zerreiße die Fesseln und richte dich auf. Sprenge die Ketten mit deinen Händen, denn es sind deine Hände. Laufe mit deinen Füßen, denn es sind deine Füße. Schaue dem Leben mit deinen Augen ins Gesicht, denn es sind deine Augen. Lache, denn der Mund, die Augen, das Gesicht, sie sind dein. Du gehörst dir ganz und gar. Du gehörst nur dir selbst.

Sieh, sie kommen, um dich zu beißen, dich zu schmecken, dich zu zerreißen; sie sind nur ein anderes Wort für Tod. Sie sind ein anderes Wort für Barbarei, und sie sind gekommen, um dich zu trinken, zu verschlingen, zu zerbrechen. Das sind Männer. Das sind keine Menschen.

Nimm dich in acht, Frau. Die Männer, die zu dir kommen, leben mit ungezügelter Leidenschaft, mit ungezügelter Wut. Aber ihre Welt ist auch deine, Frau. Lebe in dieser Welt, wie es dir gefällt. Ist diese Welt ein Fluß, so schwimme in ihm. Ist sie ein Himmel, flieg von einem Ende zum anderen. Wenn es dein Leben ist, wirklich deins, dann lebe es, wie du willst. Nimm dich selbst in Besitz, Frau.

Ich habe den Tod gesehen. Ich habe die Sünde getroffen. Ich bin durch Schmutz gewatet. Keine andere Frau soll mehr durch Stacheldraht gehen und in Stücke gerissen werden. Keine Frau soll mehr durch wilde Wälder gehen, um ihr Ziel zu erreichen. Keine Frau soll jemals mehr blutig aus der Höhle eines Mannes kriechen.

Ich sage der Frau, die hungert, lebe. Ich sage der Blutarmen, lebe. Ich sage der, die keine Kinder bekommen kann, lebe. Ich sage dem Mädchen, das Lumpen sammelt, lebe. Frau, lebe.

Ich habe mein Leiden abgeworfen und stehe hier. Ich sage nein zu Obszönität und Widerlichkeit. Halte fest an Schönheit, Frau, halte fest an deinen Träumen.

1 Sie bezeichnen die Zeit der Menstruation als „unreine Zeit“, menstruierende Frauen dürfen zum Beispiel nicht aus dem Haus gehen, Anm. d. Übers.

Auszüge aus dem Band „Nirbachit Kalam“, einer Sammlung von Taslima Nasrins Zeitungskolumnen („Gyankosh Prakashan“, 1993, Dakka – hier übersetzt aus dem Englischen). Aufgrund ihrer Zeitungskolumnen ist Taslima Nasrin in ihrem Land bekannt und vor allem bei jungen Frauen außerordentlich beliebt.