piwik no script img

Die lassen sich doch nicht helfen

In der Entwicklungspolitik macht sich Resignation breit. Zwei Bücher räumen mit den gängigen Dritte-Welt-Mythen auf und setzen Koordinaten für künftige Debatten  ■ Von Dominic Johnson

„Wenn man Sie nach Ihrem gedanklichen Bild Afrikas fragte, würden Sie vermutlich antworten, es sei heiß; möglicherweise würden Sie hinzufügen, es sei naß, und Sie könnten sogar auf den Dschungel, wilde Tiere und unangenehme Insekten zu sprechen kommen.“ So begann der britische Geograph Paul Fordham im Jahre 1965 ein Buch über Afrika. Wer würde das heute noch tun, wo man bei Afrika reflexartig an Hunger, Krieg und Chaos denkt?

„Afrika hat in Europa und den USA keine besonders gute Presse“ – so resigniert eröffnen Dirk Hansohm und Robert Kappel ihre neue Studie „Schwarz-weiße Mythen: Afrika und der entwicklungspolitische Diskurs“. Und Reinhart Kößler und Henning Melber konstatieren in der Einleitung von „Chancen internationaler Zivilgesellschaft“: „Die Welt ist aus den Fugen.“

Es ist zur Mode geworden, die gegenwärtige Dritte-Welt-Politik zu schelten – oft genug eine bequeme Camouflage für das Nichtstun. Die da unten lassen sich nicht helfen, nicht einmal mit Gewehren. Also sollen sie alleine sehen, wie sie zurechtkommen. Mit uns hat das nichts mehr zu tun.

„Schwarz-weiße Mythen“ ist eine Abrechnung mit Jahrzehnten immer wieder neuer Entwicklungstheorien. „Wir halten nichts von den beständigen Negativdebatten, wie sie in allen Lagern – ob ,linke‘ Kritiker oder ,rechte‘ Pessimisten – seit Jahren gang und gäbe sind“, schreiben die Autoren. Also weg von der Theorie, zurück zu den Tatsachen: „Wir glauben, daß es keine schnellen und einfachen Analysen und vor allem keine schnellen Lösungen gibt. Mehr Geduld ist notwendig.“

Aber erst muß abgeräumt werden. Wer wissen will, welche Strategien zur Überwindung der Krise der Entwicklungsländer zur Zeit diskutiert werden, wird hier hervorragend bedient. Einzelne Kapitel zu den gängigen Kontroversen – externe oder interne Ursachen der Krise? Staat oder Markt? Strukturanpassung oder Abkoppelung? – erfassen den gegenwärtigen Stand der Debatte; in Betrachtungen zur Ökologie, zum informellen Sektor, zu Nichtregierungsorganisationen oder zu den afrikanisch-europäischen Beziehungen werden Aspekte neuer Politikmöglichkeiten behandelt. Die Autoren sehen den Grund der allermeisten entwicklungspolitischen Kontroversen in „Mythen“ und „Vorurteilen“. Sie versuchen, aus den verschiedenen Streitpunkten gemeinsame Folgerungen abzuleiten und daraus Anforderungen an die zukünftige Diskussion zu entwickeln, vor allem eine von ideologischen Schablonen befreite Sicht der Rolle staatlicher wie nichtstaatlicher Institutionen in Afrika.

Als zentrale Forderung des Buches stellt sich der Anspruch heraus, weniger zu globalisieren und Einzelfälle wichtiger zu nehmen. Denn es darf gerade in Zeiten, wo „Intervention“ in Mode gerät, nicht vergessen werden: Entwicklungspolitisch handeln heißt immer „intervenieren“. Und Intervention – ob sie „Entwicklungspolitik“ heißt oder anders – sollte ja nicht die Einlösung eigener Ansprüche bedeuten, sondern die Lösung fremder Probleme. Das ist sehr viel schwieriger und funktioniert auch entsprechend selten. Aber die Schuld an diesem Scheitern kann man nicht bei den ungelösten Problemen suchen. Man muß die eigenen Maßstäbe überprüfen. Zumeist merkt man dann: Man hat mißverstanden, wer die Leute sind, mit denen man als „Partner“ zusammenarbeitet; man hat ihre Stellung und ihre Möglichkeiten falsch eingeschätzt.

So besteht der Widersinn von IWF- und Weltbank-Sanierungsprogrammen ja darin, daß man der Regierung des Entwicklungslandes eine führende ökonomische Rolle abspricht und sie gleichzeitig mit der Durchsetzung ungemein anspruchsvoller Anpassungsprogramme beauftragt. Und der Widersinn der Bundeswehrpräsenz in Somalia war ja unter anderem der, daß die Soldaten ihre Arbeit nur leisten sollten, wenn Frieden herrschte, wenn man also gar keine Soldaten brauchte.

Wie läßt sich auf internationaler Ebene sinnvoll zusammenarbeiten? Das ist das Thema der Studie von Kößler und Melber – ein Werk der politischen Theorie, das in den Debatten um weltweite Demokratisierung und um zunehmende Interventionsforderungen einen gemeinsamen Nenner finden will. „Provinzialismus und Regionalismus können wir uns nicht mehr leisten“, schreiben sie. „Doch genügt es nicht, auf die Existenz weltweiter Probleme und weltgesellschaftlicher Zusammenhänge zu verweisen. Es handelt sich um die Modalitäten, unter denen weltgesellschaftliche Strukturen organisiert und weiterentwickelt werden sollen.“

Diese Modalitäten haben viel mit „Solidarität“ zu tun und damit, daß Zivilgesellschaft als „Netzwerk autonomer Organisationen“ begriffen wird – was erst einmal nicht mehr heißen muß als praktische Zusammenarbeit auf der Grundlage gemeinsamer Werte. „Dabei ist nochmals daran zu erinnern“, schreiben Kößler und Melber, „daß ,Zivilgesellschaft‘ nicht per se ,gut‘ oder ,böse‘ und sicher auch nicht ,demokratisch‘ ist.“ Die Herausbildung internationaler Zivilgesellschaft erfordert zunächst die „Suche nach Partnern“ für gemeinsame Ziele; ihre Kooperation ist dann „gegenseitige Einmischung“. Diese ist erst einmal wertneutral, aber gleichzeitig ist ja – Habermas läßt grüßen – die Geltung demokratischer Regeln dabei Grundvoraussetzung für eine Verständigung. Es mag zu optimistisch sein, wenn von solchem Verfahren gleich die Lösung internationaler Probleme erwartet wird.

„Wer verantwortungsethisches Handeln für sich in Anspruch nimmt“, schreiben Kößler und Melber in bezug auf den Golfkrieg, „stellt sich sehr konkreten Maßstäben.“ Damit sind nicht nur die Ausgangspunkte dieser zwei doch sehr unterschiedlichen Bücher, sondern auch die Ziele recht ähnlich. Es geht beidesmal darum, daß die Beschäftigung mit den Angelegenheiten anderer und die Einmischung darin nur sinnvoll und berechtigt sind, wenn nicht theoretische, sondern praktische Probleme gelöst werden sollen. Wenn die Gültigkeit von Entwicklungstheorien auf dem Spiel steht oder die Frage militärischer Einmischung unter ethischen Gesichtspunkten erörtert wird, darf es nicht um die Haltbarkeit von Prinzipien gehen, sondern um die Verbesserung von Lebensumständen.

Beide Bücher sind daher in gewissem Sinne Aufforderungen, hier nicht weiterzulesen. Wer an einer besseren Welt interessiert ist, so die unterschwellige Botschaft, sollte sich vorher lieber um eine bessere Kenntnis der Welt kümmern. Es ist Zeit, daß die Bücher über die Dritte Welt wieder mehr von der Hitze des Dschungels reden.

Dirk Hansohm, Robert Kappel: „Schwarz-weiße Mythen. Afrika und der entwicklungspolitische Diskurs“. Lit Verlag, Münster/ Hamburg, 253 Seiten, 29,80 DM

Reinhart Kößler, Henning Melber: „Chancen internationaler Zivilgesellschaft“. edition suhrkamp, 1993, 280 Seiten, 19,80 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen