„Wildkatzen“auf dem Schlachthof

■ BauwagenbewohnerInnen besetzen Steg-Gelände / Schlachthof AG hatte bisherigen Standplatz gekündigt, weil die Totenkopf-Flagge störte

„Paßt bloß auf, daß hier keine Mollies fliegen“, begrüßte der Platzaufseher den kleinen Bauwagenzug. Gestern besetzte die „Wagenburg Felidae“ das von der Steg verwaltete südliche Schlachthofgelände im Karo-Viertel, nachdem die Schlachthof AG den fünf Bauwagen-BewohnerInnen den Mietvertrag für ihren bisherigen Stellplatz - rund 500 Meter entfernt - zum heutigen Montag gekündigt hatte.

„Wir sind freundlich, umgänglich und wollen niemand auf die Nerven gehen“, schreiben die fünf in einem Flugblatt, die seit vergangenem Sommer auf dem Schlachthofgelände seßhaft waren. Nicht weit von den Bundesbahngleisen und den Hallen, an denen die Lastkraftwagen ihre lebende Fracht abliefern. „Wir waren froh, überhaupt etwas gefunden zu haben“, nennt Christian, mit 21 Jahren der jüngste der „Wildkatzen“, den Grund für die abenteuerliche neue Standortwahl.

Für die Schlachthof AG eine lukrative Nebeneinnahmequelle. Über 5000 Mark jährlich knöpfte sie den BauwagenbewohnerInnen im vergangenen Jahr für die Überlassung von fünf verwaisten Lkw-Stellplätzen ab. Zum Vergleich: Die Jahrespacht für das gesamte mehrere Hektar große Schlachthofgelände beträgt gerade mal 700 000 Mark.

Und dann kam, Mitte Januar, die Kündigung. Als Grund verwies der für die Wildkatzen zuständige Schlachthof-Mitarbeiter Erich Schlichting auf eine Totenkopffahne, die an einem der Wagen befestigt war. Sie könne in die elektrische Oberleitung der Bundesbahn geraten. Da aber rund 20 Meter Luftlinie Flagge und Stromleitung trennten, schob Schlichting gleich noch einen weiteren Kündigungsgrund nach: Die „Wildkatzen“ hätten den Platz in „eine Schutthalde verwandelt“ und ihre Platzmiete „nicht immer pünktlich bezahlt“. Für die BauwagenbewohnerInnen „fadenscheinige Begründungen“, die zudem nicht stimmen würden.

Unterstützung erhielten die „Felidaes“ zwar Ende vergangener Woche vom Sanierungsbeirat Karolinenviertel. Dieser forderte den bezirklichen Stadtplanungsausschuß auf, "Wege der Weiternutzung der (...) Lkw-Stellplätze auf dem Gelände des Schlachthofes zu suchen“. Die bezirkliche Liegenschaftsverwaltung solle „ihren Einfluß auf die Schlachthof AG dahingehend nutzen, daß die Kündigung der Mietverträge zurückgenommen wird“.

Darauf mochten die Wildkatzen nicht warten. Zusätzlich demoralisiert vom Bezirksamt Mitte, das ihnen nach der Kündigung statt Unterstützung lediglich den Hinweis servierte, daß laut Wohnwagengesetz ihre Wagenburg ohnehin illegal sei, wählten sie jetzt den Weg, „eigenverantwortlich einen Platz zu besetzen“.

„Uns brachte dieses Gespräch keine Alternative zu unserem bisherigen Platz und auch keine positiven Zukunftsaussichten - die Stadt praktiziert weiterhin ihr ,Blinde-Kuh-Spiel' angesichts der Wohnungsnot in dieser Stadt“, begründen die fünf „Felidaes“ ihren Schritt. Und versichern: „Wir sind nach wie vor bereit, eine erschwingliche Pacht für ein Gelände zu zahlen.“ Da dies jedoch in weiter Ferne sei, „sind wir nun hier auf einem Gelände, daß keiner zu brauchen scheint.“

Felix Hoffmann/Marco Carini