: Gemeinplätze
Ein Café am Rande der Stadt ■ Von Gabriele Goettle
Als ich das Café vor etwa zwanzig Jahren zum ersten Mal betrat, hatte es noch ein gediegenes Fünfziger-Jahre-Interieur. An den holzgetäfelten Wänden gab es eingebaute, beleuchtete Vitrinen, vollgestellt mit italienischen Keramikfiguren und anderen Andenken aus dem Süden. Über eine der Wände zog sich friesartig ein farbenfrohes Mosaik. Im Licht von milchig-opalisierenden Wand- und Deckenleuchten saßen die Gäste auf bequemen, mit Kunstleder bezogenen Sesseln und Bänken, blätterten in den bereitliegenden Zeitungen, rauchten und schenkten sich Kaffee nach aus polierten Metallkännchen.
Allmählich lernte ich die Gäste zu unterschieden. Da waren zum einen die sporadisch einkehrenden Hausfrauen, Rentner und Studenten, zum anderen die Stammgäste, meistenteils im Pensionsalter, die Wert darauf legten, möglichst immer auf demselben Platz zu sitzen. Von ihnen ging etwas Faszinierendes aus. Wie die Figurengruppe, die, bewegt von einem unsichtbaren Räderwerk, zur festen Stunde mit Glockenspiel unter der Kirchenuhr herausfährt, so erschienen auch die Stammgäste auf dem Plan. Statt Trompeter, Kaufmann, Mönch und Tod tauchten drei begüterte Witwen auf, ein kriegsversehrter Jurist, ein früherer Oberstudienrat und noch praktizierender Nazi, ein blinder Greis, ein aus der brasilianischen Emigration zurückgekehrter Jude, eine Ärztin im Ruhestand sowie ein geistig etwas zurückgebliebener Mann ungewissen Alters, der jeden stets mit einem „Allet klar?“ begrüßte.
Alletklar schweifte vom frühen Morgen an auf seinem Damenfahrrad durch die Gegend, schob für ein Päckchen Zigaretten eine Weile im Supermarkt die Einkaufswagen zusammen, erledigte für die Besitzerin des Kurzwarengeschäftes kleine Gänge oder putzte im Café die Toiletten im Tausch gegen ein „Maxi-Frühstück“ mit Brötchen, Toast, zwei Eiern im Glas, Wurst und Käse sowie einem Kännchen Kaffee. War er einmal gerade nicht beschäftigt, so stand er an der Straßenkreuzung, einen Fuß aufs Fahrradpedal gestützt, beobachtete und kommentierte den Verkehr. Eines Tages war er verschwunden, es hieß, er sei gestorben, einfach so.
Der Auftritt des Oberstudienrates im Ruhestand blieb in den Grundzügen über zwei Jahrzehnte lang derselbe. Die vier Stufen von der Konditorei zum Café hinaufzusteigen löste bei ihm oftmals rasselndes Husten aus. An der Garderobe wand sich der schwergewichtige Mann umständlich aus dem Mantel und steuerte dann mit Aktentasche und Tagesspiegel seinen Lieblingsplatz an, von dem aus sowohl der gesamte Raum als auch die Straßenkreuzung – und somit die ankommenden Gäste – zu sehen waren. Er hatte sich das Café zu seinem Hauptquartier gemacht, bestellte Frühstück und Weinbrand mit donnernder Stimme und widmete sich dann den Leitartikeln. Damals, in den ersten Jahren, hatte er immer noch ein Ziertuch im Jackett und wirkte, trotz seines wüsten, grottenmolchartigen Aussehens, immer noch seriös. Allerdings fiel er bisweilen durch ungewöhnliche Geräusche auf: einen kollernden, schleimigen Husten, dem ein röchelndes Schnarchgeräusch folgte, mit dem er das zähe Sekret in die Speiseröhre schleuderte. Bei alldem war er vollkommen selbstvergessen in dieser ihm vertrauten Umgebung. Die Bedienung, eine ältere Frau mit Umsicht und Duldsamkeit, servierte jede Viertelstunde einen kleinen Weinbrand und machte einen Strich auf ihren Block. Ab und zu kamen ehemalige Schülerinnen und Schüler vorbei und nahmen an seiner Seite Platz. Unbegreiflicherweise ließen sie sich stundenlang altväterlich belehrende Ratschläge und Lebensweisheiten erteilen, ohne zu murren oder sich zu verabschieden.
Meist aber erschien der kriegsversehrte Jurist auf der Bildfläche, er näherte sich mit steif durchgedrücktem Rücken und jenem seltsam schleudernden Hüftschwung, der Prothesenträgern eigen ist, dem Tisch des Oberstudienrats, verbeugte sich knapp und fragte, während er sich mit gestrecktem rechten Bein niederließ, nach dem „werten Befinden“. Das folgende Gespräch nahm ebenso seinen gewohnten Lauf, umkreiste erst die Schlagzeilen, dann die allgemeine Lage, um schließlich in Allgemeinplätzen über den Verfall von Kultur, Moral und Politik zu münden. Dem schloß sich ab und zu ein Exkurs ins Dritte Reich an, in dem die Werte nicht nur neu geprägt, sondern auch hochgehalten worden seien. Auch den Krieg liebte der Oberstudienrat: „Der Russe gemeinhin gilt ja als unkultiviert, aber das ist vielleicht ein Irrtum, da waren zum Beispiel diese Russen, Kriegsgefangene, die kamen rein in die Kantine, abgemagert und ausgehungert, richtige Skelette. Aber die setzten sich ruhig und gesittet hin und begannen manierlich zu essen, wie zivilisierte Menschen, statt wie Schweine übers Essen herzufallen – was ja verständlich gewesen wäre bei dem Zustand, in dem sie waren. Nein, die speisten regelrecht. Das hat mir den Glauben an die Menschheit wiedergegeben!“
Wenn weder der Jurist noch ehemalige Schüler auftauchten, scharten sich die distinguierten Witwen mit der gemeinsamen Vorliebe für schillernde Federchen am Hut gern um den Oberstudienrat. Sie führten zierlich ihre Kuchengäbelchen zum Munde, überhörten das Kollern routiniert und kicherten ab und zu sogar albern. Solche jungmädchenhaften Reaktionen provozierte der Oberstudienrat gern durch schlüpfriges Ausmalen von Sexualdelikten und modernen Perversionen. Die Witwen ihrerseits steuerten bei, was sie darüber in der Regenbogenpresse gelesen hatten. Ab und zu sprachen sie von ihren verstorbenen Männern, öfter jedoch von den wunderbaren Kreuzfahrten, die sie Jahr für Jahr im Mittelmeer machten miteinander. War der Tisch des Oberstudienrates bereits besetzt, nahmen sie vorne neben dem Eingang Platz, frühstückten und musterten die eintretenden Gäste mit reservierter Miene.
Nicht weit entfernt saß meist die gichtgeplagte Internistin mit ihrem Dackel, der ein grünes Filzdeckchen umgeschnallt trug und aussah wie aufgesattelt. Die Ärztin wurde besonders aufmerksam bedient und umsorgt, sie hinterließ immer ein großzügig bemessenes Trinkgeld. Meist saß sie alleine. Wenn sich einmal jemand an ihren Tisch setzte, dann nur, weil kein anderer Platz mehr frei war.
Anders war es mit dem aus Brasilien zurückgekehrten Juden. Zwar saß auch er alleine, gab aber nie Trinkgeld, schimpfte in einem fort halblaut auf Bedienung, Tee und Kuchen, auf Deutschland, die Industrie und die Verhunzung der Sprache. Er kam sehr unregelmäßig, setzte sich, ohne abgelegt zu haben, an den nächstbesten Tisch, verschlang mit großer Eile das Bestellte, rief ungeduldig nach der Rechnung und verschwand.
Das blinde Männlein war eines Tages im Winter aufgetaucht. Es hatte Schnee auf Kopf und Schultern und wurde von einer Verkäu
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ferin die Treppe hinauf an einen Tisch geführt. Sie half ihm aus dem Mantel und lehnte den langen Blindenstock in Reichweite an die Wand. Der zarte Greis trug immer einen altmodisch geschnittenen schwarzen Anzug. Fast jedesmal bestellte er ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte und eine Tasse Kaffee, wovon stets ein ziemlicher Teil auf seinem Anzug landete oder unter den Tisch fiel. Eines Tages aber bestellte er ein richtiges Mittagessen, und ich hörte, wie er zur Bedienung sagte: „Sie müssen mir das aber richtig auflegen, nun, das geht so – Blinde essen nämlich im Uhrzeigersinn –, also, auf der Zwölf liegt das Fleisch, auf der Drei die Kartoffeln, auf der Sechs das Gemüse und auf der Neun die Soße.“
Nach etwa zwei Jahren verschwand der Blinde wieder. Eine der Witwen war lange Zeit im Krankenhaus. Der Oberstudienrat begann, sich mehr und mehr zu vernachlässigen. Es fing damit an, daß er ungekämmt erschien und seine Kleidung nur noch selten wechselte. Später trug er dann jahrein, jahraus denselben Anzug. Seine Hose nahm die Form seines sich zunehmend vergrößernden Hodenbruchs an, die Talgbeutel am Hals und Kiefer überzogen sich mit Bartstoppeln. Anfangs fiel jeder Fleck auf dem Anzug noch auf, mit der Zeit aber nahm der Stoff einen gleichmäßig graublau schimmernden Glanz an, der Kragen sah aus, als sei er aus speckig gewordenem Leder. Auch das Husten erklang häufiger und entstellte die verwüsteten Züge zu überraschender Häßlichkeit. Merkwürdigerweise aber schienen weder der Jurist noch die Witwen Anstoß zu nehmen an der Veränderung. Auch die neu eingestellte Kellnerin gewöhnte sich nach kurzer Zeit an den Gast. Überhaupt war die Atmosphäre von rätselhafter Toleranz. Bevor man einen Gast als störend empfunden hätte, müßte der schon im Vollrausch alles kurz und klein geschlagen haben.
Eines Tages vor einigen Jahren wurde das Café überraschend an einen Italiener verkauft. Der ließ es schließen und vollständig erneuern. Als nach einigen Wochen wieder offen war, bot sich ein grotesker Anblick: Gäste und Stammgäste saßen in einem mit rosa Plüsch ausgepolsterten Raum, der mit weißen Pseudo-Stilmöbeln ausstaffiert worden war. Es gab eine ebenfalls rosa gepolsterte, geschwungene Bar und zwei runde Pflanzenbehälter, an denen man auf Barhockern Platz nehmen sollte. Dazu Spiegel an den Polsterwänden und helle, von rosa Adern durchzogene Tischplatten aus Marmor. Die verstaubten, aber üppigen Pflanzen waren von den Fensterbänken verschwunden, statt dessen standen dort sauber glänzende, kleinwüchsige Grünpflanzen, in Hydrokulturkügelchen eingetopft. Über alldem spendete ein falscher Kronleuchter trübes Licht.
Der Oberstudienrat hatte breitbeinig auf einem der unbequemen neuen Stühle Platz genommen, vor ihm auf dem Marmor prangte das neue Espressogeschirr. Die drei Witwen saßen um ihn herum und genossen sichtlich das Ambiente. Eine, die redseligste, sagte aufseufzend: „Oh Gott, das ist ganz mein Stil!“ Der Oberstudienrat jedoch schien sehr verstimmt über die Veränderungen. Der Jude betrachtete die neue Speisekarte, sah die neuen Preise und verließ laut protestierend das Café. Besonders erboste ihn aber, daß es nur noch eine Lesemappe mit Illustrierten gab, die Tageszeitungen jedoch abgeschafft waren. Er kam nicht wieder. Der Oberstudienrat gewöhnte sich ein und blieb, bis zu seinem Tode im vorigen Jahr, ein tolerierter Schandfleck. Nur die Witwen und der Jurist erschienen noch mit täglicher Regelmäßigkeit bis heute.
Vor einiger Zeit aber erschienen zwei neue Stammgäste auf der Bildfläche. Der ältere von beiden, ein hagerer, gut gekleideter Mittsiebziger, kommt immer am Freitagvormittag, während der andere, ein eher klein gewachsener, dicker Mann im Anorak, keine feste Zeit hat. Kurz vor Weihnachten führte ein Zufall – das Café war sehr voll – die beiden am Nebentisch zusammen. Irgendwann waren sie miteinander ins Gespräch gekommen, ich wurde jedenfalls plötzlich aus meiner Zeitungslektüre gerissen durch die Stimme des Jüngeren:
A: ... denn mein Chef, der war oben auf dem Turm, in dem Moment stand er da, und da wurde ihm alles weggerissen, die ganze Seite, es war nichts mehr zu machen – aber entschuldigen Sie, daß ich davon angefangen habe.
B: Ach, lassen Sie nur. Ich sage immer, man kann versuchen, die Erfahrungen weiterzugeben, und, was das Menschenmaterial betrifft, so sieht es damit bei uns gar nicht so schlecht aus, wie ich höre. Unter den jungen Offizieren soll es hervorragende Leute geben, aber woran es eben mangelt, ist diese eiserne Disziplin.
A: Hauptmann von Bonin, ein adeliger Harr aus alter Generalsfamilie, einer der Offiziere damals, der sagte immer: „Zucht und Selbstzucht ist das wichtigste beim Militär!“
B: Na ja, es kommt auf den Dienstgrad an, also die Berliner Herren vom Generalkommando der SA und SS waren ausgesprochen lässig, Erbhofbauern, Sie wissen ja, Rotbraun.
A: Wir nannten sie Goldfasane.
B: Nee, nee, das waren ja die anderen. Sehnse mal, wir von der SS damals, wir waren ja zum großen Teil Akademiker, unauffällige Leute, und haben trotzdem überall unsere Spuren hinterlassen. Ich wurde ja als Jurist reingeholt. Meine Personalakte war einwandfrei, bin gebürtiger Rheinländer und lebte auch einige Zeit im Elsaß als Kind.
A: Deshalb sind Sie auch so anschlußfreudig.
B: Kann sein, kann sein, bei uns ist man aber generell fröhlich und gesellig.
A: Und jetzt wohnen Sie hier draußen, im Grünen?
B: Leider nein, ich komme extra aus Charlottenburg hierher, weil ich einen sehr guten Augenarzt empfohlen bekommen habe, bei dem ich nun in Behandlung bin. Ich sehe nämlich kaum noch etwas, müssen Sie wissen, ich habe grauen Star auf beiden Augen, der Sehnerv hat sich von der Netzhaut abgelöst, und Sie wissen, wir sehen ja nicht mit den Augen selbst, die Augen sind nur sozusagen die Eindrucksleiter zur Weitergabe an das Gehirn.
A: Da ist wohl nichts mehr zu machen, habe ich gelesen, auch nicht mit einer Operation. Eine Bekannte von mir, die hatte Katarakte, da tritt Blut ins Auge ein, glaube ich.
B: Sowas kenne ich, das ist auch nichts Leichtes – Katarakt heißt ja eigentlich Wasserfall, und so ergießt sich das Blut auch ins Auge, kenne ich alles. Ich war in der Augenklinik vor zwei Jahren, aber die Behandlung hat keine Fortsetzung gefunden. Die Brille nutzt mir gar nichts, die man mir damals gegeben hat. Aber was soll ich klagen, ich habe ja alles erledigt im Leben, habe eine große Familie, mit 76 Jahren elf Enkel und fünf Urenkel, zwei von den Urenkeln sind Zwillinge, zweieiig, aber das ist ja heute keine Seltenheit mehr.
A: Mir ist auch aufgefallen, woran liegt es bloß, überall die jungen Mütter mit doppelten oder sogar dreifachen Kinderwagen?
B: Vielleicht steckt da eine gewisse Absicht dahinter, denn wir sind ja ein aussterbendes Volk. Na, jedenfalls, die sind alle recht munter, die Kids, wie man heute sagt. Der Junge ist lebhafter als das Mädchen, und die Schwester ist hingegen energischer, wehrt sich, der Junge ist aber richtiggehend kämpferisch, willensstark, aus dem wird mal was.
Ich wendete mich wieder meiner Lektüre zu und hörte nicht weiter auf das Gespräch, bis ich einige Zeit später den Jüngeren sagen hörte:
A: Ich war eigentlich immer gut zu meinen Leuten und sogar zu Fremden. Zum Beispiel gabs da einen Gefangenentransport, ich sollte ihn überstellen in ein anderes Lager. Lauter Franzosen. Es war der 23. Mai, glühende Hitze, und wir warteten auf dem Bahnsteig zwei Stunden lang auf dem Zug. Die taten mir irgendwie leid, die Kerle, da bin ich hin und habe dem ranghöchsten Offizier eine Zigarette in den Mund gesteckt, gab ihm auch Feuer. Aus ethischen Gründen habe ich das gemacht. Und dann kam es nachher doch ganz anders!
B: Wie so oft im Leben!
A: Der Zug kam, wir haben die Gefangeneneinheit verladen, ohne Lebensmittel, ohne Wasser, weil wir schon so im Verzug waren, und da guckten sie raus, aus so kleinen vergitterten Fensterchen, und riefen nach Wasser und Brot. Was sollte ich denn machen? Da dachte ich neulich dran. Viele Schwarze waren dabei. Sie können sich nicht vorstellen, wie die anfangs noch gefleht haben, und dann isses während der Fahrt plötzlich umgeschlagen. Die Leute fingen an zu rebellieren, haben den Zug auseinandergenommen. Ich mußte halten lassen auf offener Strecke und mit Waffengewalt Ruhe und Ordnung wiederherstellen.
B: Wenn man zu weich ist, wird es immer ausgenutzt, das ist eine Erfahrungstatsache. Ich war ja auch in Frankreich, unser Stab lag bei Vichy, etwa 20 Kilometer südlich. Ich war schwer verwundet worden und lag im Lazarett. Hatte Wundbrand, ach, es war schrecklich, aber glücklicherweise bekamen wir plötzlich Medikamente, ungereinigtes Penicillin, damit bin ich gerettet worden. Ich war lange Zeit ein liegender Fall im Lazarett, zu lange, ich geriet von dort aus sozusagen gleich in Kriegsgefangenschaft. Man hat ja was gegen uns Deutsche gehabt damals, man wurde ja als Ungeheuer angesehen. Ich hatte nun meine kleine Narbe unterm Arm, die war noch frisch und gerötet. Man fand sie sofort, und der amerikanische Militärarzt sagte in Deutsch zu mir: „Das war doch Ihre SS-Nummer! Die kennen wir schon. Leugnen ist sinnlos!“ Dann brachten sie mich in ein amerikanisches Lager, in dem die Angehörigen der SS waren.
A: Mir ist die Gefangenschaft erspart geblieben, ich konnte mich in Zivil absetzen, erstmal bin ich nach Landau und allmählich weiter hier hoch, nach Berlin.
B: Bei mir hats noch eine Weile gedauert, aber ich fand es gar nicht so schlimm, denn eines Tages habe ich einen amerikanischen General angesprochen, betreffs Verfall der Disziplin. Er sah das gleich ein. Und von da an wurde alles ruhiger bei den Mannschaften. Ich kann Ihnen versichern, einen solch exerzierfreudigen Haufen habe ich noch nie gesehen. Der Reichsapotheker, er war so rothaarig wie ein Ire und einer meiner Untergebenen, hat uns eine Menge organisiert von den Amis, Schokolade, Zigaretten, sogar ab und zu Alkohol, na ja ... es war an sich eine schwere Zeit, aber sie hatte auch ihr Schönes, die Kameradschaft ...
A: Ich will ja nicht unterbrechen, aber ich muß allmählich, habe auch ein Enkelkind, dem habe ich versprochen, Weihnachtsgeschenke kaufen zu gehen.
B: Da haben Sie etwas vor sich, das ist eine schöne Aufgabe. Ich will Sie auf keinen Fall aufhalten, eins noch, falls wir uns mal wieder treffen, das sage ich Ihnen gleich, dann werde ich Sie nicht wiedererkennen, weil ich ja nichts sehe.
A: Macht nichts, macht nichts.
B: Eben, Hauptsache man lebt. Jeder Tag ist ein Geschenk. Statistisch gesehen bin ich längst tot! (lacht laut)
A: Na, dann also ...
B: Schöne Adventszeit wünsche ich Ihnen, und ein frohes Weihnachten!
A: Alles Gute auch Ihnen.
B: Danke, danke, Ihnen auch.
A geht ab, B bleibt zurück und starrt reglos mit völlig erschlafften Gesichtszügen ins Leere.
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