: Narkotisiert und aufgespießt
■ Leichen pflastern seinen Weg: Helmut Riemann, Insektenpräparator
Insekten sind zarte Wesen. Das weiß Helmut Riemann. Seit 20 Jahren ist er Insekten-Präparator im Übersee-Museum. Mit Fingerspitzengefühl sammelt, konserviert und dokumentiert der Spezialist, was kreucht und fleucht.
Riemann ist Herr über rund 3.500 Holzkästchen mit rund einer Million Insektenleichen. Seine Schützlinge reichen von winzigen Erzwespen bis zu faustgroßen Schmetterlingen, alle fein säuberlich unter Glasscheiben aufgespießt. Allenfalls bei Schädlingskontrollen oder durch Forscher wird die ewige Ruhe gestört. Denn öffentlich zugänglich ist die Insekten-Sammlung in einem Nebengebäude des Übersee-Museums nicht, nur ein Bruchteil ist in einer Dauer-Ausstellung zu sehen.
Zwischen Fachliteratur, Schachteln, Reagenzgläschen, Mikroskop und akribischem Arbeitstagebuch liegt das skurrile Revier des Insektenpräparators. Hier wartet gerade ein neuer Patient auf die Behandlung. Rund 20 Minuten braucht er, um die acht Zentimeter lange heimische Libelle für die Wissenschaft herzurichten. „Bauchseits“ schlitzt Riemann das Tier mit feinem Seziergerät auf, nimmt es aus, stopft ein hauchdünnes Papierröllchen in den Leib. „Die Verdauungssäfte würden sonst die Farben von innen zerstören“, sagt der 45jährige, der das Präparieren als künstlerische Arbeit versieht. Dann taucht er das Insekt in ein Acetonbad, das den Hinterleib entfettet.
Auf einem Schmetterlingsspannbrett wird die Brust des Tiers mit einer Nadel durchstochen („genadelt“). Mit zierlichem Besteck breitet der Museumsmann die filigranen Flügel aus und befestigt sie mit Stecknadeln und Pergamentstreifen. Mindestens zwei Wochen muß die Libelle in dieser Stellung trocknen, bevor sie samt Etikett mit ihren persönlichen Daten (Fundumstände, Sammler) in einer staubdichten Kiste verschwindet – erste Verschnaufpause für den Präparator und das genadelte Tier.
Mindestens 20.000 Sechsfüßler hat er seit seinem Amtsantritt präpariert, zum Teil auch getötet. „Es ist nicht so, daß wir die Tiere gerne umbringen“, sagt Reimann. Obwohl die Tiere mit Essigäther betäubt werden, tun sie ihm leid. Das war schon so. als er in seiner Kindheit mit Zigarrenkästen und Schuhkartons auf Heuschreckenjagd gegangen ist. Heute ist Riemann auf Wildbienen, Wespen und Ameisen am Weserufer spezialisiert. Außerdem erfüllt der Präparator umweltpolitische Aufgaben: Auf seine Initiative hin wurde Anfang der 80er Jahre der Mahndorfer Binnendünenrest unter Schutz gestellt. Seit Jahren ist Riemann Miglied des Bundes für Umwelt und Naturschutz (Bund).
Während seine Libelle vor sich hintrocknet, hat der gelernte Silberschmied Zeit, Insekten-Modelle zu bauen und zu zeichnen. Die Pelzbienen der Kanarischen Inseln machen sogar diesen detailbesessenen Handwerker nervös. Jedes einzelne Härchen mit Farbstiften, Chinatusche und Temperafarben in fünffacher Vergrößerung festzuhalten, das dauert: 30 Stunden pro Tier. Eine Aufgabe, die die drei zoologischen Präparatoren im Übersee-Museum vernachlässigen können. Ihre Tiere sind groß genug, um die Details mit bloßem Auge zu sehen.
Obwohl sich bei Riemann auch in der Freizeit alles um Wildbienen, Wespen und Ameisen dreht: Insekten-Alpträume hat der Bremer deswegen nicht. Kein Urlaub ohne Gebirgsstiefel, Feldkleidung, Glasröhrchen, Essigäther und Kescher. „Man ist eben mit der Insektenforschung verheiratet“, sagt er. Von seiner letzten Mittelmeerreise hat er 300 Insekten mitgebracht.
Sabine Komm
Am 7. März hält Helmut Riemann ab 20 Uhr im Übersee-Museum einen Vortrag über das, was ihm heilig ist: „Blütenbesucher, Räuber und Parasiten – Wildbienen, Wespen und Ameisen im Bremer Bürgerpark“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen