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Brust raus, zack, zack!

■ Prall: Die Berliner Ladengalerie zeigt Arbeiten des Ost-Realisten Willi Sitte

Ach ja, die Badenden, das ist ein schönes, ein altes Thema. Seit Jahrhunderten arbeiten sich die Maler daran ab, selbst die modernsten ihrer Zeit haben das Motiv immer wieder aufgegriffen: Cézanne und die Pointillisten, die Expressionisten oder Matisse. Bei Willi Sitte aus Halle an der Saale, einst erster Künstler der DDR, langjähriger Präsident des Verbandes Bildender Künstler, Träger des Nationalpreises erster und zweiter Klasse, bei Sitte also sieht das folgendermaßen aus: nackte Leiber, pralle Busen, feste Schenkel, spritzende Gischt. Männer, die sich kopfüber in die Fluten stürzen, während Frauen vorzugsweise auf dem Rücken schwimmen – Bauch rein, Brust raus. Das malt der Mann jetzt schon seit Jahren.

Der 72jährige Sitte, von dem derzeit etwa 20 nach 1989 entstandene Gemälde und einige Grafiken in der Ladengalerie am Berliner Kurfürstendamm zu sehen sind, besaß nie die Qualitäten seiner Altersgenossen, der anderen Großkünstler des Arbeiter-und- Bauern-Staates. Nicht die Manie von Bernhard Heisig, nicht die träumerische Dissidenz von Wolfgang Mattheuer oder dem völlig weggetretenen Werner Tübke. Sitte hat nach der „Wende“ auch nicht Bilder gemalt wie das gerade in Wilhelmshaven ausgestellte „Der abgewickelte Ingenieur N.“ von Bernhard Heisigs Sohn Johannes Heisig. Für ihn sind die früheren Sujets längst keine mehr. Vorbei und vergessen die Zyklen „Im Geiste Lenins“ (1977) oder „Neonazismus in der Bundesrepublik“ (1982), die Allegorien auf Klassenkampf und sozialistische Lebensfreude. Nein, Sitte malt, was die Zeit von ihm verlangt. Geile Wuchtbrummen und vor Virilität strotzende Muskelprotze im Spiel mit den Wellen: „Die Badenden“ eben – und das im Dutzend. Sittes Menschenbild besteht aus Fleisch, aus tumben, unglaublich gesunden, lebenstüchtigen und fortpflanzungsfähigen Giganten. Die Männer sind keine Männer, sondern richtige Mannsbilder, mit Oberkörpern, breit wie Schrankwände, die Frauen geben sich in allerlei empfängnisbereiten Positionen. Es ist kein Zufall, daß die Köpfe seiner Fleischberge meist in einem schemenhaften Gepinsel verschwinden, eingefroren im Moment der Besinnungslosigkeit. Auch wenn man innehält, sich auf die Bilder und ihren gekonnt impressionistischen Stil einläßt, werden sie kaum nachvollziehbarer. Einfühlsame Charakterstudien oder der Ausdruck differenzierter Gemütszustände sind Sittes Stärke nicht – da gibt es keine Zwischentöne, keine Nuancen und keinen Feinschliff, nur unzweideutige Verstrickungen. Oder Melancholie, besser „Melencolia“ (1991): statt eines Äquivalents zu Dürers düster sinnierendem Geschöpf sieht man bei Sittes zeitgenössischer Adaption nur eine übellaunig vor sich hin schmollende Frau. An dieser Stelle könnte man die Bilder mit einem verbalen Achselzucken quittieren und die Sache dann auf sich beruhen lassen.

Trotzdem sind die Reaktionen auf Sittes Comeback bemerkenswert. Mittlerweile stürzen sich die Konservativen auf den ehemaligen Maler-Funktionär. Endlich einer, der zugibt, daß sein „Bild von der Arbeiterklasse eine Illusion“ war; einer, der trotzdem zu sich steht und „nichts zu bereuen“ hat. Jedenfalls ist Sitte für die nächsten drei Jahre mit Ausstellungen ausgebucht. Für das „Kunsthaus“ in Jugenheim bei Mainz entsteht in seinem Atelier momentan ein Grafikzyklus mit Einzelheiten aus der römischen Mythologie. Derweil feilt eine private Initiative in Bremen an der überfälligen „Rehabili

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tierung“ des Hallensers: Die aufrechten hansestädtischen Bürger kaufen für die vereinseigene „Villa Ichon“, solange sie noch so billig sind, Sittes en gros. Um „ein Zeichen zu setzen“, wie sie meinen, gegen die Diskreditierung des Malers in der Ex-DDR.

Ganz zu schweigen vom Künstlersonderbund Berlin. Der Verein, der liebend gern das Rad der Kunstgeschichte um ein gutes Jahrhundert zurückdrehen würde, hatte sich im vergangenen Jahr immerhin den grandiosen Flop einer 1. Realismus-Triennale im großräumigen Gropius-Bau zu Berlin leisten dürfen. Insbesondere hatte er sich jedoch durch seine Funktionäre hervorgetan, die im dazugehörigen Katalogmammut Beuys und ähnlichen „Scharlatanen“ wüst nachtraten. Logischerweise empfing man dort jemanden wie Sitte mit offenen Armen: Der Berliner Maler Johannes Grützke vom Vorstand dieser obskuren, 1990 gegründeten Vereinigung war sich in einem Grußwort an Willi Sitte anläßlich der Ausstellung in der Ladengalerie selbst für das Peinlichste nicht zu schade: „Wir Intellektuelle (im Westen) sind endlich frei von linker Einschüchterung (Ablösungen folgen schon!). Wir dürfen frei reden, und was wir sagen, ist von uns und nicht geborgt.“ Und, als sei es nicht schon genug, weiter im O-Ton: „Lieber Willi Sitte, warst Du vielleicht auch ein eingeschüchterter Nichtlinksintellektueller? Haben wir uns gegenseitig die linke Fassade vorgehalten? Nun können wir offen reden. Diplomatie ist nicht mehr vonnöten.“ Jawoll, zackzack, und Zoten dürfen wieder Zoten sein: „Heraus! Wir malen den Leib und meinen den Leib.“ So einfach ist das. Kein Zweifel, wir sind in der Stammtisch-Etage der aktuellen Kunst gelandet. Ulrich Clewing

Sittes Gemälde sind noch bis zum 25.2. in Berlin zu sehen.

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