: Grenzen setzen -betr.: Mal Halblang, taz vom 29.1.94
Betr.: Mal halblang, taz vom 29.1.
Christine Holchs Kommentar zu den Reaktionen auf die Umtriebe einer libanesischen Kindergang entspricht einem Reaktionsschema, das vor allem in gutwilligen Sozialarbeiterkreisen anzutreffen ist.
1. Spiegelbildlich zur Dramatisierung und Instrumentalisierung von Ausländerkriminalität durch rechtspopulistische Parteien wird - nur mit umgekehrten Vorzeichen - das Problem zunächst einmal verharmlost, relativiert und kleingeredet nach dem Motto: Das hat es doch früher auch schon gegeben, und wir haben doch alle schon einmal geklaut. Über die doppelte Moral einer Gesellschaft, in der selbst Tennisstars beim Klauen erwischt werden, läßt sich trefflich streiten, aber man schmeiße dies bitte nicht in einen Topf mit dem brutalen, erpresserischen und skrupellosen Vorgehen männlicher Jugendlicher zwischen 16 und 20 Jahren beim organisierten Klauen.
2. Aus Tätern werden bedauernswerte Opfer gemacht, die nichts anderes als Krieg kennengelernt haben. Diese Verwandlung verläuft immer nach demselbsen Muster: Diese armen Menschen kommen doch aus Verhältnissen struktureller Gewalt oder sozialer Deprivation, und hier setzt man sie einfach einem Konsumkoller aus - die Gesellschaft ist also schuld. Zweifelsohne handelt es sich um entwurzelte Kids, die von der Vorstellung leben, daß das Recht des Stärkeren gilt, solange sie niemand daran hindert. Aber die Tatsache, daß diese halberwachenen Jugendlichen Produkt einer gewaltverherrlichenden Kultur sind, gibt ihnen noch lange nicht das Recht, andere zum Opfer ihrer sozialen und psychischen Beschädigungen zu machen. Wo bleibt in Christine Holchs Kommentar auch nur ein Wort des Verständnisses für verängstigte, bedrohte sowie psychisch und physisch eingeschüchterte Verkäuferinnen. Das Anzünden von Zeitungen und die Bedrohung mit Waffen sind keine Kavaliersdelikte, über die man anschließend locker scherzen könnte.
3. Die vorgeschlagene Therapie für soche Tätergruppen fängt meistens mit den Worten an: Man muß sich doch um die ... kümmern. Das ist dann die Stufe der Sozialarbeiterisierung des Problems. Betreuung, verbindliche Ansprechpartner und Hilfsangeobte sind notwenig, aber sie ersetzen nicht die notwendigen strafrechtlichen Sanktioen. Deutschland ist nicht der Libanaon, und hier gilt nicht das Faustrecht - diese Botschaft muß auch den libanesischen Jugendlichen unmißverstäündlich klargemacht werden, wenn wir unsere eigenen Werte und Normen ernst nehmen wollen.
Es ist in der Tat ein Armutzeichen, daß lediglich ein Polizist so etwas wie ein Ersatzvater für diese entwurzelten Kids ist. Aber diesen Polizisten als Kronzeugen für eine Strategie der Sozialarbeiterisierung zu benutzen, ist zu billig. Wenn Christine Holch richtig gelesen hätte, hätte sie auch die Botschaft des Polizisten verstanden: Es wird Zeit, daß diese Kids einmal kräftig eins auf die Hörner kriegen (sprich, daß ihnen Grenzen gezeigt werden und sie für die Folgen ihres Tuns einstehen müssen). Natürlich nicht so, daß die Kiefer krachen.
Lothar Probst
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