Sanssouci: Vorschlag
■ „Ortelsburg – Szczytno“ von Goedel/Koeppen in der Brotfabrik
Pawel Kowalczik als polnischer SchülerFoto: Verleih
Einmal sieht man tanzende Jugendliche in einer Disco oder womöglich eine Party in einer Art Jugendheim. Sie tanzen desinteressiert und sexy zugleich, wie es nur blasierte 16jährige können. Dazu die körnige Stimme eines sehr alten Mannes aus dem Off: „Heute treffen sich die Jugendlichen in solchen Klang- und Bewegungslokalen.“
So funktioniert dieser dokumentarische Film, von dem dennoch schwer zu sagen ist, ob man ihn einen Dokumentarfilm nennen soll, bricht er doch mit einer Grundregel des Genres: Sage nie, was zu sehen ist. Immer wieder wird das, was die Bilder zeigen, von der alten Stimme aufgenommen. Sehen wir ein Panorama einer Stadt an einem masurischen See, von der wir schon wissen, daß sie Ortelsburg, polnisch Szczytno, heißt, sagt die Stimme: „Ortelsburg, polnisch Szczytno“. Die Stimme ist die des Erzählers Wolfgang Koeppen, der auch den autobiographischen Text zum Film von Peter Goedel geschrieben hat. Die beiden kennen sich, seit Goedel 1987 Koeppens „Treibhaus“ verfilmt hatte. Es ist kein Manierismus, daß Koeppens zittrige, ständig zwischen Wehmut und Sachlichkeit schlingernde Stimme die Bilder aus dem hochsommerlichen Masuren immer wieder aufgreift. Goedel hat aus der Not eine Tugend gemacht, als er den Film so zusammensetzte. Wolfgang Koeppen hatte nämlich wegen einer Krankheit nicht mit dem Team auf die Reise in die Heimat seiner Jugend gehen können. Im Film sieht man ihn in seiner Münchener Wohnung aus dem Fenster blicken.
Ein sehr elegischer Filmessay, der seinem märchenhaften Untertitel („Es war einmal in Masuren“) zum Trotz von großer politischer Tiefenschärfe ist: Denn Ortelsburg heißt jetzt Szczytno. Jörg Lau
Von heute bis zum 9.2. täglich 19.30 Uhr, Brotfabrik, Prenzlauer Promenade 3, Prenzlauer Berg.
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