: Kalte Dusche für Weißes Haus
Die US-Notenbank erhöht zum erstenmal seit fünf Jahren die Zinsen / Kursrutsch an der Wall Street, Achselzucken in der Clinton-Administration ■ Von Erwin Single
Berlin (taz) – Alan Greenspan kann stolz auf sich sein. Jahrelang hat der Chef des Federal Reserve Board (Fed), der US-Zentralbank, mit seiner Niedrigzinspolitik für die Regierungen Reagan, Bush und Clinton Geld geschöpft, wo es nur ging. Damit hat es nun ein Ende: Mit der ersten Zinserhöhung seit fünf Jahren versetzte der Notenbankpräsident am Freitag nicht nur der Clinton-Administration einen Dämpfer, sondern schockte auch die Aktienmärkte.
Nicht ganz so unerwartet, wie die politischen Kommentatoren nun glauben, erhöhte die unabhängige Fed den Zinssatz für kurzfristige Kredite, die sogenannte „Federal Funds Rate“, von 3 auf 3,25 Prozent. Doch das Viertelprozent genügte, um Bankern und Brokern klarzumachen, wohin die Reise geht – daß höhere Zinsen auch in den USA nicht länger auf sich warten lassen. Das Ergebnis: An der New Yorker Börse fiel der Dow- Jones-Index schlagartig um knapp hundert Punkte auf 3.871,42 ab – der tiefste Sturz der Aktienkurse seit dem 15. November 1991. Der Kurs des US-Dollar dagegen schnellte nach oben: Mit 1,7585 Mark erreichte er an der Wall Street seinen höchsten Stand seit fast drei Jahren.
Die US-Regierung, der die Zinserhöhung gar nicht schmecken will, mußte das forsche Vorgehen des Zentralbankchefs notgedrungen mit Zähneknirschen zur Kenntnis nehmen. Höchstpersönlich hatte Präsident Bill Clinton noch am Montag, als Greenspan den Schritt vor dem Konreßausschuß ankündigte, jegliche Zinserhöhung als derzeit nicht gerechtfertigt bezeichnet. Erstmals in der 80jährigen Geschichte der Notenbank verteidigte der Fed-Chef öffentlich die Maßnahme: Er werde nicht zulassen, daß der Wirtschaftsaufschwung vom Einsetzen einer unkontrollierten Inflation begleitet werde. Doch die will in der Regierung niemand erkennen: Die Inflationsrate lag 1993 bei 2,2, im letzten Quartal sogar nur bei 1,2 Prozent – der kleinste Anstieg seit den 60er Jahren.
Gesagt – getan. Am Freitag machte Finanzminister Lloyd Bentsen dann auf Schadensbegrenzung: Die Anhebung sei von der Regierung vorausgesehen worden und werde das US-Wirtschaftswachstum, das im letzten Jahr immerhin stolze 2,8 Prozent betrug, nicht beeinträchtigen. Der US-Regierung bleibt nun nur noch die Hoffnung, daß nach der jüngsten Zinserhöhung die Preise nicht weiter anziehen und eine Erhöhung der langfristigen Zinsen verhindern.
Niedrige langfristige Zinsen sind für einen wirtschaftlichen Aufschwung deshalb so wichtig, weil mit billigen Krediten die Investitionsneigung der Unternehmen steigt und zudem öffentliche Infrastrukturmaßnahmen, von denen in erster Linie Schlüsselsektoren wie die Bauindustrie profitieren, günstiger finanziert werden können. So legten die Industrieinvestitionen im letzten Jahr um fast 14 Prozent zu, für dieses und nächstes Jahr wird mit Steigerungsraten von zehn Prozent gerechnet.
So scheint denn auch die Regierung weniger über die Zinssenkung selbst erbost zu sein als vielmehr darüber, daß sie nun die zerrütteten Staatsfinanzen ohne den aggressiven Kauf eigener Schulden weiterführen muß – schließlich war das die richtige Medizin für den hochverschuldeten Staat, konnte er doch seine Hypotheken zu niedrigeren Zinssätzen refinanzieren. Doch Greenspan, der nicht selten als mächtigster Mann nach dem Präsidenten bezeichnet wird, schert das heute wenig: Sein Vertrag läuft im August des kommenden Jahres aus.
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