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Der Fernseher als Meditationsapparat

Der verstorbene Dokumentarfilmer Garry Schum wollte die Kunst aus den Museen holen und seine Kunstvideos von 1970 dort zeigen, wo sie eigentlich hingehören: im Fernsehen. Eine Ausstellung zeigt seine „Fernsehgalerie“  ■ Von Tilman Baumgärtel

Das Paradoxe am Kunstvideo ist, daß es leichter ist, über dieses Thema etwas zu lesen zu finden, als sich tatsächlich Videos von Künstlern anzusehen. Die wenigsten Museen für Gegenwartskunst haben eigene Videoabteilungen oder gar Videotheken, in denen man sich sein Programm zusammenstellen kann.

Und im Fernsehen, wo Kunstvideos nach Meinung vieler Künstler eigentlich hingehören, gibt es keine festen Sendeplätze; die unregelmäßigen Video-Programme, die von öffentlich-rechtlichen Sendern gezeigt werden, finden ausschließlich im Schlafgestörten- Programm weit nach Mitternacht statt.

Nicht immer war den Künstlern der ausgeschaltete Fernseher TV- Kunst genug, wenn er nur irgendwie an Malewitschs monochromes „Schwarzes Quadrat“ erinnerte. So hatte der Düsseldorfer Dokumentarfilmer und Galerist Garry Schum um 1970 für den SFB und den Südwestfunk zwei Folgen einer „Fernsehgalerie“ produziert, die auch heute als beispielhaft dafür anzusehen sind, wie Kunstvermittlung im Fernsehen jenseits von „1000 Meisterwerke“ und gelegentlicher Doku-Portraits von Starkünstlern aussehen kann.

Schums Filme waren am Wochenende in Düsseldorf wiederzuentdecken, als seine Witwe Ursula Wevers im Begleitprogramm zu der Ausstellung „Harry Schunk – Projetcs: Pier 18“ die beiden „Fernsehgalerien“ und weitere Videoarbeiten zeigte.

Der 1973 verstorbene Schum wollte wie viele Künstler Ende der sechziger Jahre die Kunst aus den Museen und Galerien holen. Selbst das Multiple, das in diesen Jahren populär wurde, weil es jedem die Möglichkeit gab, sich für ein paar Mark Kunst zuzulegen, war Schum nicht demokratisch genug. Er wollte Kunst statt dessen in das Massenmedium schlechthin bringen: ins Fernsehen. Die Beiträge in seiner „Fernsehgalerie“ sah Schum als autonome Kunstwerke, die er zusammen mit den kooperierenden Künstlern entwickelt hatte. Als Kunstwerke existierten sie bloß im Augenblick ihrer Sendung.

Es ist beeindruckend, wie Garry Schum und jetzt Ursula Wevers mit traumwandlerischer „kuratorischer“ Sicherheit für die beiden „Fernsehgalerien“ fast ausschließlich Künstler ausgewählt haben, die heute als führende Avantgardisten gelten: Die erste „Fernsehgalerie“, die vom SFB am 15. April 1969 um 22.40 Uhr im Ersten Programm ausgestrahlt wurde, widmete sich der Land Art und Künstlern wie Robert Smithson, Walter de Maria oder Michael Heizer, die damals nur wenigen Eingeweihten bekannt waren. Die zweite Folge, die der SWF am 30. November 1970 unter dem Titel „Identifications“ um 22.50 Uhr zeigte, enthielt Werke der Künstler Daniel Buren, Mario Merz, Richard Serra und Alighiero Boetti.

Wer nach einem knappen Vierteljahrhundert diese Filme noch einmal sieht, begibt sich auf eine seltsame Zeitreise: Dennis Oppenheim rast mit einem Schneemobil auf einem zugefrorenen Fluß entlang der Zeitgrenze zwischen den USA und Kanada, Reiner Ruthenbeck wirft zerknülltes Seidenpapier auf den Boden, Joseph Beuys boxt mit seinem Filzfernseher, Gilbert & George sitzen fünf Minuten lang regungslos auf einer Waldlichtung, und all das wurde im damals noch ausschließlich öffentlich- rechtlichen Fernsehen mit der Autorität einer moralischen Anstalt gezeigt.

Garry Schum bildete diese Aktionen und Performances meist statisch ab, falls die Künstler nicht andere Kamerabewegungen vorgeschrieben hatten; der gesprochene Kommentar beschränkte sich auf Nennung von Künstlername und Werktitel.

Als Höhepunkt dieser Fernsehkunst könnte Jan Dibbets Video „TV as a fireplace“ gelten, das Schum produziert hat und das Weihnachten 1969 nach Programmschluß auf WDR 3 lief. Die Idee, statt eines Testbildes ein flackerndes Kaminfeuer zu zeigen, hat der Kommerzsender Vox Ende letzten Jahres wieder aufgenommen.

Auch das berühmte TV-Aquarium des ORB und die S-Bahn- Fahrten, die nach Sendeschluß beim SFB zu sehen sind, zeigen, daß die Idee vom Fernseher als Meditationsapparat im Zeitalter der explosionsartigen Sendervermehrung noch relevant ist. 1969 war der SFB leider noch nicht reif für Tele-Zen: Weitere Folgen von Schums „Fernsehgalerie“ wurden nicht produziert, weil der Redaktion der erläuternde Kommentar fehlte.

Die Ausstellung „Harry Shunk – Projects: Pier 18“ ist noch bis zum 13. März im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen in Düsseldorf am Grabbeplatz 4 zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag von 11 bis 18 Uhr.

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