: Eindeutige Rechtslage mit „Pferdefuß“
■ betr.: „Kitaplätze für alle? Im Prin zip ja...“, „Projekte gründen und zumindest Teilsubventionierung erreichen“ u.a., taz vom 3.2.94
In meiner Eigenschaft als Mitautor des Frankfurter Kommentars zum Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) – 2. Auflage, Votum-Verlag, Münster 1933 – erlaube ich mir angesichts der Diskussion um den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz auf die Rechtslage hinzuweisen.
1. Bei den Überlegungen der JugendministerInnenkonferenz, des Deutschen Städtetages und von wem auch immer zur zeitlichen Streckung des Rechtsanspruches handelt es sich um Meinungsäußerungen, die im Widerspruch zur Gesetzeslage stehen. Paragraph 24 des KJHG regelt nämlich – mit Wirkung ab dem 1.1.1996 –, daß jedes Kind ab dem dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt einen rechtsverbindlichen, einklagbaren Rechtsanspruch auf den Besuch eines Kindergartens hat. Deshalb ist auch die Auffassung von Frau Frommel, daß das KJHG einen subjektiven Rechtsanspruch nicht formuliere, schlichtweg falsch. Das Gegenteil ist richtig. Weil dem so ist, sind auch alle Überlegungen in Hinblick auf Stichtagsregelungen, stufenweise Verwirklichung des Rechtsanspruches usw. rechtswidrig. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind im Rahmen ihrer Bindung an das Gesetz (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz) verpflichtet, das geltende Recht zu beachten und anzuwenden. Ihnen steht es nicht frei, möglichst schlaue Überlegungen zur Umgehung dieses Gesetzes anzustellen.
2. Selbstverständlich kann der Deutsche Bundestag das Gesetz ändern, nicht aber die JugendministerInnenkonferenz, einzelne Länder oder sonstwer. Ob dieses in Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil v. 28.5.1993) verfassungsrechtlich zulässig ist, erscheint allerdings zweifelhaft. Denn danach ist der Staat verpflichtet, „Grundlagen dafür zu schaffen, daß Familien- und Erwerbstätigkeit aufeinander abgestimmt werden können“, wie dies durch die Verankerung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz u.a. geschehen ist.
3. Die Auffassung, daß der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz in Bayern nicht gilt, ist unzutreffend. Bei dem KJHG handelt es sich um Bundesrecht, was selbstverständlich auch in Bayern gilt, solange auch dieses Bundesland Teil der Bundesrepublik Deutschland ist (woran rechtlich keine Zweifel bestehen dürften). Bei der Zuordnung des Kindergartenwesens zum Bildungsbereich in Bayern handelt es sich nur um eine Zuständigkeitsregelung.
4. Erwähnen muß man allerdings einen „Pferdefuß“ des Gesetzes. Der Begriff des Kindergartens wird nicht näher definiert, d. h. Öffnungszeiten, Gruppengröße, Personalschlüssel, Ausstattung usw. Der Intention des Gesetzes werden allerdings nur großzügige Regelungen im Interesse der Kinder und der Eltern, insbesondere auch bezüglich der Öffnungszeiten, gerecht. Nach Paragraph 22 des KJHG hat sich nämlich das Leistungsangebot pädagogisch und organisatorisch an den Bedürfnissen der Kinder und ihrer Familien zu orientieren. In einem der reichtsten Länder der Welt sollte dies durchaus möglich sein.
Mögen die JugendministerInnen ihre Kraftanstrenungen zur Umsetzung des geltenden Rechts nutzen, anstatt sie für Überlegungen jenseits der Gesetzeslage zu verschwenden. Thomas Lakies, Richter,
Berlin-Kreuzberg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen