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Hab' noch ein bis zwei Koffer in Berlin

Babelsberger Filmgeschichte – eine neue Ausstellung setzt Ufa und Defa seltsam harmonisch parallel. Mit Marlenes Schminkköfferchen, Kostümen und Filmausschnitten wird anheimelnd inszeniert  ■ Von Anke Westphal

In der Eingangshalle zum Filmmuseum Potsdam reitet ein riesiger Baron Münchhausen auf einer Kanonenkugel durch die Luft. Fast ein Synonym dieser Ausstellung über die Filmstadt Babelsberg, die 80 vergangene Jahre und nahezu 2.000 abgedrehte Filme keineswegs gänzlich aufarbeiten kann und will. „Filmstadt Babelsberg“ präsentiert sich als lockere Reihung von acht thematischen Raumcollagen, die wie ein paar Farbkleckse auf einer zu großen Palette ineinander verlaufen. Installationen, Fotos, Kostüme, Requisiten und Filmausschnitte simulieren die Welt der Simulationen noch einmal und mit dem Mut zur Lücke – Vorhang auf für einen Spaziergang, hübsch querfeldein durch die deutsche Traumfabrik.

Der Film „Münchhausen“, geschrieben unter falschem Namen, weil der Drehbuchautor Erich Kästner unter den Nazis mit Schreibverbot belegt war, und mitten im Krieg gedreht, hatte am 3. März 1943 Premiere, nach der Schlacht um Stalingrad. Filmkunst war seit ihren Anfängen eine staatspolitische Affäre. 1912 wurde in Babelsberg das erste Studio, das sogenannte „Glashaus“ der Firma Bioscop, errichtet. Auf den 12. Februar des Jahres fiel der Drehbeginn des ersten Babelsberger Films: „Totentanz“ mit Asta Nielsen in der Hauptrolle. 1917 wurde dann die Universum Film AG, besser bekannt als UfA, gegründet, und bereits 1925 genoß die Filmstadt Babelsberg einen solchen Ruf, daß Reichsaußenminister Stresemann sie mit seinem Besuch beehrte. Er war der erste in einer Galerie von Politikern, mehr oder weniger respektablen, deren Besuche eher dem Propagandamedium Film als der Kunst galten. 1935 kam Hitler; da waren alle jüdischen Mitarbeiter längst entlassen, viele waren – wie der Produzent Erich Pommer – in die Emigration gegangen. Am 1. Januar 1953, das „Tausendjährige Reich“ war in allen Unehren untergegangen und die einstige Pflicht zum „Deutschen Gruß“ auf dem Studiogelände (1939 eingeführt) fast vergessen, kam Wilhelm Pieck, erster Präsident der DDR, während der Dreharbeiten zu „Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse“ nach Babelsberg. Da war der Debüt- Film der 1946 gegründeten Defa, „Die Mörder sind unter uns“ von 1946, schon Filmgeschichte. „Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse“ war eine der aufwendigsten Produktionen der Defa überhaupt. Propagandafilme hatten schon immer ein Zuhause in Babelsberg. In der Ära der Defa mußten authentische Personen aus Kunst und Geschichte als heldenhafte Vertreter kommunistischer Ideologie herhalten. Im Juni 1933 war es noch „Hitlerjunge Quex“, der als erster NS-Auftragsfilm die Massen in die Kinos ziehen sollte. Unlautere Parallelen? Babelsberg – ist das nur die unendliche Geschichte einer Verführung? Die Ausstellung orientiert bewußt auf das Spannungsverhältnis zwischen Unterhaltung, Propaganda und Kunst. Anschaulich will sie sein und vor allem subjektiv, und das ist schließlich immer anfechtbar.

1929 wurde der erste deutsche (Babelsberger) Tonfilm „Melodie des Herzens“, 1941 der erste deutsche Farbfilm uraufgeführt. „Frauen sind doch bessere Diplomaten“, ließ „Paprika“ Marika Rökk im Hauptpart fröhlich sein und singen. Die Rökk brillierte als eine der Diven Babelsbergs, mit denen die Ausstellung „subjektiv“ zum Entree bittet. Das Kapitel Leinwandköniginnen öffnet dem Betrachter die Garderoben der Rökk, von Zarah Leander, Lilian Harvey und der Dietrich. Wo es Marlene an den Wänden wohl dunkelblau geblümt liebte, schwelgte die Harvey, als „süßes Mädel“ mit blondem Haar und veilchenblauen Augen beliebt, in „Die Drei von der Tankstelle“ oder „Der Kongreß tanzt“, in einem Traum von Cremefarben. Man kann sich am Schminkkoffer der Dietrich erfreuen; Haarbürste und Glacéhandschuhe liegen noch da wie grad eben benutzt. Im ersten Raum ist Babelsberg ganz Zwischenwelt zur Illusionsmaschine. Man fläzt gleich neben den Garderoben im Kinosessel und schaut auf den Monitor mit den Ausschnitten vom „Blauen Engel“.

Warum aber, unter dem Signum „Diva“, ausgerechnet Renate Krößners Garderobe aus „Solo Sunny“ nachgebaut wurde, ist nur mit einer gewissen bemühten Quotierung in Sachen UfA/Defa erklärbar. Das prinzipielle Nebeneinander von UfA und Defa hinterläßt, je weiter man die Ausstellung durchwandert, einen merkwürdig schalen Beigeschmack. Wie schon gesagt: Seltsame Parallelen, oder ist man einfach nur befangen darin, daß die Defa erst am 12. Januar dieses Jahres aus dem Handelsregister gelöscht wurde? „Filmstadt Babelsberg“ jedenfalls addiert unbefangen Geschichte zusammen und baut so, natürlich, auch Kontinuität auf. Eine Kontinuität des Ortes allerdings. Defa's „Sabine Wulf“ von 1978 steht so neben UfA's „Berlin Alexanderplatz“ von 1931. Manfred Krug und Rolf Herricht gucken neben Theo Lingen und Adele Sandrock von der Wand.

Vor 1945 kam wenig Authentisches aus Babelsberg. Gestylte Mythen à la „Nibelungen“ standen auf dem Stundenplan, später die Wünsche von Goebbels. Wenig Platz also für „die Sekunde Leben“, den Hauch des Alltags in den Studios. Ausnahmen wie Josef von Sternbergs „Blauer Engel“ oder Friedrich Wilhelm Murnaus „Der letzte Mann“ schrieben Filmgeschichte, die sich nicht ohne weiteres ideologisch vereinnahmen ließ. Singuläres wird hier von den Ausstellungsmachern, die übrigens Kenner der Materie sind und als Regisseure und Szenenbildner arbeiten, noch einmal „interaktiv“ aufgepeppt. Plötzlich sieht man sich in einer Spiegelwand, zusammen mit Emil Jannings, dem „letzten Mann“ oder der „Looping The Loop“-Jenny Jugo. Der Besucher spielt mit, ist immer mittendrin, zwischen Plakaten von „Cyankali“ und „Emil und die Detektive“, zwischen Monitoren, die Filmausschnitte zeigen, Standfotos und künstlichen Wäldern. Man läuft an einem kleinen Friedhof vorbei, in dessen Sand wieder ein Monitor flimmert. Grabsteine, auf denen Szenenfotos eingeklebt sind, verdüstern die Wände, und in der Stirnhöhle eines Riesentotenschädels zappelt ein weiterer Bildschirm. Filmblut tropft in einen Holztrog – hier haben Krieg, Gewalt und Tod die „Sekunde Leben“ ausgelöscht. Der Wink mit dem Zaunpfahl ist nicht zu übersehen. Das Museum als hochdidaktischer Erlebnisraum, Kontrast und Schock als Programm, „subjektiv und anschaulich“ eben. Daher wird gleich zu den „Märchen und Mythen“ übergegangen.

Die sind bekanntlich ein Essential des Films und wurden schon 1921 mit dem „Indischen Grabmal“ reichlich bedient. Die Guten werden belohnt, die Bösen bestraft. „Aber der Film gibt die Genugtuung des erfüllten Gesetzes ebenso einfältig, wie es das Märchen tut, nur in der Form, die seiner Zeit entspricht“, wußte schon Fritz Lang. Der geneigte Besucher kann lesen, was es zur Uraufführung der „Nibelungen“ 1924 zu essen gab oder den Defa-Chefindianer Gojko Mitic besichtigen, wie er in Wachs vor einem Haufen Skalpe posiert. Münchhausen oder der Kleine Muck, Pharaonentöchter und schöne Prinzen bevölkern Ausstattungsfilme, Kassenrenner. 1950, kaum daß die Trümmer beiseite geräumt waren, entstand der erste Defa-Märchenfilm „Das kalte Herz“.

„Filmstadt Babelsberg“ inszeniert sich in vielen hübschen Einfällen. Schiefe Türen, düster disharmonische Raumproportionen und schwarze Gazeschleier rahmen die Hommage an den expressionistischen Film, der nicht nur an Streifen wie „Genuine“ (1920) und „Der müde Tod“ (1921), an Regisseure wie Lang und Murnau erinnert. Ein paar Koffer (!) weisen aus „Anders Fremd Verboten“ in die Emigration, und ein nachgebauter Marktplatz wird zur Kulisse des Kapitels über Propagandafilme. Die alles übergreifende Abteilung „Liebe Leidenschaft Sex“ schließlich mündet, nachdem man ein Panorama von 14 kleinen Schaukästchen, eine leichte Berührung der Schulter von Figurinerich zu Figurine passiert hat, im Ziel der Wünsche beider, einem lila bezogenen Doppelbett, auf dem wie zufällig Wäsche drapiert ist, sehr lasziv.

Babelsberg – war das nun ein omnipotenter Filmkoloß, der Zeit seiner Existenz zwischen Kunst und Macht lavierte? Zu viele Fragen, zu viele Antworten, meinen diese 600 Quadratmeter Ausstellung, die nichts weniger als bildend unterhalten wollen. Das jedenfalls tun sie recht kurzweilig.

„Filmstadt Babelsberg“, ständige Ausstellung im Filmmuseum Potsdam. Geöffnet von Dienstag bis Sonntag, 10 bis 17 Uhr. Katalog zur Ausstellung, Verlag Nicolai, 271 Seiten, 270 Fotos; im Museum broschiert für 28, im Buchhandel gebunden für 58 DM.

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