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„Mallorca kannste vergessen“

■ Eine Rüstungsschmiede von innen: Wie es den stolzen Bremer Flugzeugbauern von der DASA zur Zeit wirklich geht

Da, wo in den Büros dieses Landes normalerweise ein Sonnenuntergang auf Capri, ein Kunstdruck von Paul Klee oder der Apothekenkalender hängt, hat Manfred Fittkau eine Platte mit lauter gestanzten Blechteilen untergebracht. „Das da ist ein Rahmenteil für die Gepäckablage des Airbus A 300, „zeigt er, „und dieses kleine gebogene Teil gehört in den Überschall-Einlauf am Triebwerk des Tornado.“

Die Metallteile sind deutsche Wertarbeit. Manfred Fittkau ist Flugzeugbauer bei der DASA (Deutschen Aerospace AG) am Bremer Flughafen. Hier machte Flugpionier Heinrich Focke 1909 seine ersten Flugversuche mit einem Hängegleiter. Zusammen mit seinem Freund Georg Wulff gründete er die Focke-Wulff Flugzeugbau GmbH, die nach verschiedenen Fusionen mal VFW, mal VFW-Fokker hieß und bis vor vier Jahren unter MBB firmierte. Bis 1989 der Daimler-Benz-Konzern die Rüstungsschmiede MBB schluckte. Aus dem stolzen Flugzeugbauerstandort wurde zuletzt die verlängerte Werkbank der Bayerischen Konkurrenz aus Ottobrunn bei München.

In dem mit Zaun und Wachmannschaften abgesicherten Betrieb ist Fittkau Gruppenleiter und Chef von 20 Mann, die Blechteile für zivile und militärische Flugzeuge herstellen. Gern erzählt er vom Mythos, der den Flugzeugbauer umgibt. „Die Flugzeugindustrie,“ sagt er, „ist doch das Aushängeschild der Nation. Die Leute betrachten sich als Elite, sie halten sich für etwas besseres als die Kollegen von Klöckner oder dem Vulkan. Auf die Aktentasche haben sie mindestens drei Aufkleber mit 'MBB' und 'Airbus' geklebt.“ Der Flugzeugbauer trägt – genau wie der Flieger – die Nase gern etwas höher. Man rechnet sich zur technischen Avantgarde des Staates. Außerdem bekommt man Spitzenlöhne. Bei der Wohnungssuche sucht der Flugzeugbauer nicht lange.

„Falsch,“ sagt Holger Jacobs, „das war einmal.“ Jacobs hat den innerbetrieblichen Aufstieg vom Metallflugzeugbauer zum Qualitätssicherer geschafft, ist 38, verheiratet, Vater von drei Kindern und kann mit dem prima Image schon lange nichts mehr anfangen. „Depression: so ist die Stimmung im Betrieb,“ findet er. Das Zurückfahren der Rüstungsausgaben trifft die DASA im Kern. Das gigantische Geschäft mit dem Starfighter-Nachfolger Tornado ist weitgehend abgewickelt. Die internationalen Fluggesellschaften halten sich mit Airbus-Bestellungen sehr bedeckt. Der lange Zeit heißersehnte Jäger 90 ist tot, und an die abge-speckte Light-Version eines „Jäger 2000“ will kaum jemand so recht glauben. DASA in Bremen ist nur zu maximal 35 Prozent ausgelastet und fertigt zur Zeit Teile an, die erst 1995 gebraucht werden – „Beschäftigungssicherung“. 56jährige werden in Rente geschickt, mit Kußhand wird Kollegen ein zweijähriger Urlaub gewährt, und seit einem Jahr gibt es massiv Kurzarbeit bei DASA.

1993 war im Schnitt 60 Tage Kurzarbeit, oft zwei Wochen pro Monat. Angestellte bekommen den Verdienstausfall zu 50 Prozent von der Firma ausgeglichen und haben 300 Mark weniger im Monat. Bei den Arbeitern beläuft sich der Verlust schon auf 400 bis 500 Mark im Monat – netto. Holger Jacobs bremst sich jetzt, wenn sein Sohn die guten Nike-Turnschuhe für 150 Mark haben will, und greift lieber bei den 50-Mark-Adidas zu. Er hat neuerdings viel Zeit, mit den Kindern zu spielen und kocht auch mal.

Jörg Streich, ein jüngerer Kollege, Single, machte jüngst beim Einkaufen eine neue Erfahrung: Er ließ eine tolle Lederjacke hängen, als ihm klar wurde, daß sie einen Gegenwert von zwei Hosen und drei Paar Schuhen besitzt. Und Manfred Fittkau hat es, obwohl er Angestellter ist, ebenfalls heftig erwischt: Von „Doppelverdienern“ wird ein größerer Beitrag zur Kurzarbeit erwartet, zumal wenn sie, wie Fittkau, Vertauensleute der IG Metall sind. Nun ist aber seine Frau arbeitslos geworden – 30 Prozent Nettoverluste, Rechtsschutz gekündigt, Spenden-Dauerauftrag an die Arbeiterwohlfahrt storniert, und den 5.000-Mark-Urlaub nach Mallorca kann er erstmal vergessen.

Das Merkwürdigste aber ist die ungewohnte Freizeit. Ein freier Tag außer der Reihe: „Da liest man Zeitung, frühstückt in Ruhe, geht einkaufen – und schon ist der Tag vergammelt.“ Oft muß Jörg Streich auf den Kalender sehen, weil er nicht weiß, welcher Tag ist. „Im Bekanntenkreis,“ sagt er, „fällt man schon auf.“

Das Betriebsklima wird nicht besser unter solchen Bedingungen. Alle schauen sich auf die Finger und beobachten argwöhnisch, wie viel bzw. wie wenig Kurzarbeit der Kollege macht. „Sozial explosiv“ findet Holger Jacobs die Stimmung. Der Gang zum Arbeitsplatz wird bei Kurzarbeit zur Stippvisite: „Eh du richtig ausgepackt hast, kannste schon wieder gehen.“ Und bei manchem Handgriff wird einem schon schwer ums Herz: „Man arbeitet in Richtung Arbeitsamt.“

Doch offen besprochen werden die Ängste und Sorgen kaum. Es ist eine Männergesellschaft bei DASA (im gewerblichen Bereich 3,9 Prozent Frauen), und das Thema Arbeitslosigkeit will so recht nicht zum alten Elitebewußtsein der Flugzeugbauer passen, das in Resten immer noch wirkt. Hin und wieder witzelt mal einer: „Ich mache ein Café für arbeitslose Flugzeugbauer auf.“

Umso mehr muß es den DASA-Kollegen wie ein Menetekel erschienen sein, als vor einem halben Jahr plötzlich der DASA-Standort Lemwerder zur Disposition stand. In Lemwerder wird der Militärtransporter Transall gewartet, in Bremen werden Transall-Teile hergestellt. „Man sieht, sie könnten es mit uns genauso machen,“ sagt Jörg Streich. Und darum schicken sie Solidaritätsadressen oder fahren zum „100. Tag des Arbeitskampfes“ nach Lemwerder, die „Lemis ein bißchen an die Brust nehmen“.

Dort die Transall-Wartung – hier eine Kleinserie Tornados nach Saudi-Arabien, via Großbritannien, versteht sich – dann die Sehnsucht nach dem Jäger 2000: Und was macht die Moral, wie geht es dem Gewissen? Ist es etwa kein mörderisches Kriegsmaterial, an dem hier bei der DASA gepreßt, gefräst, gebohrt und gefeilt wird? Für solche Fragen hat jeder seine in etlichen Diskussionen mit Bekannten vorfabrizierten Antworten parat. Die heißen meist: Es gibt in dieser Branche keinen rüstungsfreien Raum; und selbst wenn man Banker wird: Die Deutsche Bank steckt noch tiefer in Rüstungsgeschäften als wir. Und außerdem: Soll ich etwa Dorfklempner werden?

Gewissen war es jedenfalls nicht, als zur Zeit des Golfkrieges plötzlich die MBB-Aufkleber von den Aktentaschen und dem Autoheck verschwanden. Es war Angst. In der Zeit wurden Rüstungbeschäftigte von Bremer Friedensaktivisten heftig attackiert, und die Rüstungsschmiede am Flughafen mußte einige Male wegen Bombendrohungen geräumt werden. „Das war eine Zeitlang extrem, auch im Bekanntenkreis,“ erinnert sich Holger Jacobs, „aber das hat ganz aufgehört. Wehrtechnisch kommt ja auch nichts mehr. Wir sind im Augenblick fast 100 Prozent zivil.“

Nur Jörg Streich ist mal ganz kurz ins Schleudern gekommen, damals, als er Lehrling beim Tornadobauer MBB war. Da wollte ausgerechnet er den Kriegsdienst verweigern. Das hat niemand verstanden, und er konnte es auch nicht erklären. Zum Glück hat man seine Einberufung zurückgestellt und dann vergessen. Jetzt ist er zu alt für den Bund. Und an seinem seltsamen Gewissensproblem ist er vorbeigekommen.

Burkhard Straßmann

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