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Betr.: "Falsche Anschläge, Freunde und Opfer" (Franz Christoph), taz vom 19.1.94

Zum Artikel von Franz Christoph

[...] Der zitierte Satz „Auschwitz hatte mit der ,Euthanasie‘ behinderter Menschen nichts zu tun“, ist vielleicht nicht besonders glücklich formuliert. Er steht in einem Kapitel unseres Buches [„Hauptsache, es ist gesund. Weibliche Selbstbestimmung unter humangenetischer Kontrolle“. Konkret Literatur Verlag 1992, d.Red.], das sich mit den klerikalen AbtreibungsgegnerInnen auseinandersetzt. Bekanntlich benutzen diese gerne Parolen wie „Abtreibung behinderter Feten ist Auschwitz im Mutterleib“; mit dieser Demagogie und bewußten Geschichtsfälschung haben wir uns auseinandergesetzt, und in diesem Kontext steht der von Franz Christoph zitierte Satz. Uns ist bekannt, daß zum Ende des Krieges auch in Auschwitz behinderte Menschen umgebracht worden sind. Dennoch: die zentralen Orte der Vernichtung behinderter Menschen im Nationalsozialismus lagen in Anstalten wie Hadamar, Grafeneck, Sonnenstein und nicht in Auschwitz. Das war alles, was mit diesem Satz zum Ausdruck gebracht werden sollte, nicht aber, den gesamten ideologischen, personellen und historischen Kontext der NS-„Euthanasie“ anzusprechen – und jedeR, außer Franz Christoph, hat ihn bis jetzt auch so verstanden.

Mit seinem Vorwurf, wir wären Vertreterinnen der „linksfeministischen Auschwitzlüge“, bestätigt Franz Christoph im übrigen in zweierlei Hinsicht die Thesen unseres Buches: Erstens bestätigt er einmal mehr, daß er ein frauenfeindlicher Abtreibungsgegner ist, der sich in die Reihen der klerikalen AbtreibungsgegnerInnen eingereiht hat und auch deren Parolen und Bilder benutzt. Der Vorwurf des Faschismus an Feministinnen, die sich für das Recht einer jeden Frau einsetzen, selbst zu entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft austrägt oder nicht (ohne es von der Qualität des Ungeborenen abhängig zu machen), erfolgt üblicherweise aus dieser Ecke. Zweitens bestätigt Franz Christoph, daß die Bilder dieser AbtreibungsgegnerInnen sich u.a. auch durch die bewußte Verfälschung geschichtlicher Bezüge auszeichnen. Der Begriff „Auschwitz-Lüge“ bezeichnet den systematischen Versuch von Alt- und Neonazis, die Ermordung von über sechs Millionen Juden und andere nationalsozialistische Verbrechen zu leugnen. Franz Christoph weiß, daß der Vergleich, den er da anstellt, mehr als unzulässig ist.

[...] Der Vorwurf, die Analyse unserer Situation als der einer doppelten Diskriminierung sei eine mathematische Platitüde und stehe in der Rechenlogik der Utilitaristen, wäre unerheblich, wenn es nicht einige behinderte Männer gäbe, die ebenfalls Zweifel an der doppelten Diskriminierung behinderter Frauen äußern.

Wir verwenden diesen Begriff weder aus Anbiederungsinteresse an die nichtbehinderten Schwestern noch aus einem besonderen Leidensbedürfnis heraus. Wer das erste Buch von Frauen mit Behinderungen „Geschlecht behindert – besonderes Merkmal Frau“ von 1985 kennt, weiß, daß wir uns eher kritisch als anbiedernd mit den nichtbehinderten Feministinnen auseinandergesetzt haben. Aber als behinderte Feministinnen haben wir in der Tat die Patriarchatsanalysen der (nichtbehinderten) Frauenbewegung übernommen und auf unsere Situtation übertragen. Unsere Alltagserfahrungen – und dafür gibt es zahlreiche publizierte Beispiele – sind sowohl durch behindertenspezifische als auch durch sexistische Diskriminierung geprägt. Der Begriff der doppelten Diskriminierung soll genau diese sozio-politische Situation zum Ausdruck bringen. Er dient der Verdeutlichung einer spezifischen Diskriminierungssituation und der Verdeutlichung der Tatsache, daß eine Person gleichzeitig mehreren unterdrückten Gruppen angehören kann (Frauen, Behinderte, AusländerInnen, Homosexuelle...) und dementsprechend auch die Diskriminierung dieser Gruppen in einer Person erfährt. Diese spezifische Situation, die eben auch spezifische (nämlich in beide Richtungen wirkende) Anti-Diskriminierungsmaßnahmen erfordert, zu leugnen, ist eine Form der Diskriminierung. Deshalb bestehen wir auf dem Begriff der doppelten Diskriminierung. Theresia Degener,

Swantje Köbsell

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