: Olympia her, oder die Stadt stirbt?
■ Mit München fing alles an: Großprojekte als einziger Motor von Stadtpolitik
Obgleich gescheitert, verdeutlicht die Berliner Bewerbung um die Olympiade des Jahres 2000 einen politischen Wesenszug, der unsere Zeit mehr und mehr zu prägen scheint. Gleichgültig, ob sie nun Expo oder Dokumenta, Universade oder 1000-Jahr-Feier heißen: Große Projekte werfen, von den Medien entsprechend ins Bild gesetzt, ihren Schatten auf das Alltagsleben. Das Zelebrieren von Ereignissen wird offenbar zum Instrument der Politik, zumal der Stadtpolitik.
Darauf versuchen die Soziologen Walter Siebel und Hartmut Häußermann bereits seit einiger Zeit aufmerksam zu machen. Anhand von 13 Fallstudien und einer umfassenden Einführung der beiden Herausgeber wird mit diesem Buch eine Organisations- und Mobilisierungsform eingekreist, die zunehmend an Relevanz gewinnt – nicht nur für Politik- und Sozialwissenschaftler, sondern auch für jene, die die Entwicklung der Städte steuern (sollen). Was sie mit „Festivalisierung der Politik“ meinen, ist die Konzentration aller Ressourcen auf jeweils ein großes Ereignis. Gefeiert wird mit großem Pomp, und die Aufmerksamkeit aller ist gesichert. Nur so läßt sich (Stadt-)Politik scheinbar noch verkaufen, ein Umbau der Stadt in eine wünschenswerte Richtung bewerkstelligen.
Kein Beispiel wird in diesem Zusammenhang so oft genannt wie die Olympischen Spiele in München. Von deren durchschlagendem Effekt träumen alle Verantwortlichen. Was München von einer verschlafenen Provinzmetropole zur „Weltstadt mit Herz“ gemacht hat, war jedoch mitnichten (nur) dem sportiven Rahmen geschuldet. Indem sie die zeit- und ortstypischen Besonderheiten herausarbeiten, relativieren Robert Geipel, Ilse Helbrecht und Jürgen Pohl implizit die Übertragbarkeit des Erfolgsmodells „Olympia“. München war, wenn man so will, der eigentliche Gewinner der deutschen Teilung. Die Kapitalflucht aus der Insel Westberlin brachte nicht nur den Siemens-Konzern hierher, sondern zog auch – aus Leipzig und andernorts – ganze Industriebranchen ab. Das stellt die faktische Basis für den Aufstieg Münchens dar. „Das Ereignis von 1972 war eingebettet in diesen Strom von initiativeträchtigen Zuwanderern, denen das konservative Stammwählerpotential des Landes ein sicheres Investitionsklima und eine zufriedene Arbeiterschaft verhieß.“ Die Kompression von Zeit und Raum im Zuge der Bewerbung, so heißt es da, sei in gewissem Sinne der „große Sprung vorwärts“ in der Stadt- und Regionalentwicklung gewesen.
Durchaus eigenen Bedingungen und Gesetzen zum Trotz bestätigen die anderen Beispiele weitgehend ein einhelliges Muster. Erstes Anliegen ist es, in den Blickpunkt einer größeren, wenn nicht der Weltöffentlichkeit zu rücken. In der Reihe derjenigen, die sich um eine Weltausstellung bewerben, wird dem angeblichen Erfolgsmodell Vancouver nachgeeifert. Daß ein euphorisches Konzept von Wien und Budapest an den Animositäten bei der Aufgaben- und Repräsentationsverteilung gescheitert ist – und damit zur Absage für die Expo 95 führte – läßt Hannover gänzlich unberührt. In Niedersachsen glaubt man noch an diesen Motor der Stadtentwicklung und rechnet sich im Wachstumsroulette gute Chancen aus, bis zum Jahr 2000 im neuen outfit zu erscheinen. Dagegen sind die vergleichsweise kleingeratenen Ereignisse wie die Dokumenta in Kassel oder die Universade in Sheffield doch relativ stark auf den kommunalpolitischen Aktionsraum zugeschnitten – und deshalb innerhalb dieses Rahmens auch (sozial-)verträglicher. Gleichwohl wird evident, daß es überall ähnliche Motive sind, mit denen oft vage Entwickungshoffnungen gepuscht und konkretisiert werden. Eigendoping nennen das die beiden Herausgeber, denn die „große Attraktivität liegt in politischen Erwartungen – sowohl nach ,innen‘ gegenüber dem Alltagstrott der Verwaltung selbst, wie auch nach ,außen‘ hinsichtlich des Verhältnisses zwischen der politischen Führung und den Bürgern einer Stadt.“
Erstmalig, so Häußermann/Siebel, traten diese Tendenzen Anfang der siebziger Jahre in Erscheinung. Im Dilemma zwischen wachsendem Legitimationsdruck und wirtschaftlicher Rezession scheinen große Ereignisse die Patentlösung zu bieten. Sie helfen, Gelder zu mobilisieren und den Stadtumbau durchzusetzen. Doch die zeitliche und räumliche Verdichtung in einem Großereignis bedarf gewisser Voraussetzungen. Zum einen zwingen von „außen“ kommende, „objektive“ Fristsetzungen zu schnellen Entscheidungen. Zum anderen ist ein entschlossenes Management mit direktem Zugang zu den politischen Entscheidungsträgern vonnöten. Dies führt – durch die scheinbar notwendigen Sonderstäbe neben der allgemeinen Verwaltung – in der Praxis zur Lockerung der institutionellen Kontrollmechanismen. „In diesem lähmenden Immobilismus, der sowohl von der politischen Führung wie von der städtischen Öffentlichkeit beklagt wird, entsteht die Sehnsucht nach dem ,Befreiungsschlag‘. Die Festivalisierung der Politik scheint ein Schlüssel dafür zu sein. Sie erlaubt die Demonstration von Handlungskompetenz und die Mobilisierung von politischem Konsens in einer Situation, in der es immer schwerer wird, handlungsfähige Mehrheiten auf Dauer zusammenzubinden.“
All das ist eine gut lesbare, an zumindest informativen, teils auch eindringlichen Beispielen vollzogene Argumentation. Sie regt zum Nachdenken an, gerade weil die Frage, ob die zunehmende Festivalisierung eine weitere Auflösung des Gestaltungswillens in der Stadt repräsentiert, oder ob sie vielleicht ein Kristallisationspunkt für eine neue aktive Planungspolitik sein könnte, unbeantwortet bleibt. Robert Kaltenbrunner
Hartmut Häußermann, Walter Siebel (Hrsg): „Festivalisierung der Stadtpolitik“. (Leviathan Sonderheft Band 13), Westdeutscher Verlag 1993, 341 Seiten, 8 s/w Abbildungen, 52 DM
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