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Schrecken der Spiele: Die Elche sind los

■ Mit Tricks und Tüfteleien versuchen die Veranstalter eine drohende Invasion aus dem Tierreich zu verhindern

Der Elch wird bis zu drei Meter lang, zweieinhalb Meter hoch, 800 Kilo schwer. Sein Geweih wiegt bis zu 20 Kilo. Sein Schwanz fällt mit zehn Zentimetern vergleichsweise klein aus. Das erste dieser unproportional gebauten Wesen ließ sich nicht lange bitten. Bereits nach einer Stunde Aufenthalt im Olympialand ward es gesichtet.

Der Elch lebt in sumpfigen Laub- und Mischwäldern. Wenn er kann. In diesem Jahr hat Frau Holle ihm einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht. In Norwegen fiel soviel Schnee wie zuletzt 1951. Und der Elch hat Hunger, was ihn in bewohntere Regionen treibt. Durch Lillehammer trabten derer drei, einer legte sich auf dem Friedhof schlafen. Ein anderer weidete in Nachbars Garten. „Ihn haben wohl die letzten noch am Baum hängenden Äpfel fasziniert“, meint Eva Hjeltberg. Auch in Oslo hat einer auf seinem olympischen Lauf kurz vorbeigeschaut.

Da ist es beruhigend, daß der Elch durchaus menschliche Züge trägt. „Er wird aggressiv, wenn er Angst hat“, erzählt Eva Hjeltberg. Zudem scheint es sich um eine äußerst geradlinige Spezies zu handeln. „Er springt immer nur geradeaus“, weiß Helene Gönnar vom Lokalen Olympischen Organisationskomitee (LOOC). Und, weil er weder rechts noch links von seinem Weg abkommt, ist er leicht berechenbar.

Luchs, Bär und Wolf wiederum seien fast ganz ausgerottet, erzählt man hier. Sehr zur Erleichterung des „zivilisierten“ Europäers, der sich nun bei seinen Nachforschungen ganz der Frage nach dem Dasein des olympiabesessenen Elchs widmen kann. Und dem scheint es – außer wenn es schneit – besonders gut zu gehen. Jedenfalls mehret er sich redlich. „Der Bestand hat sich in den letzten 50 Jahren vervielfacht“, informiert Leif Ryvarden, Biologe in Oslo. 40.000 Tiere werden in jedem Jahr erlegt.

Und dennoch behindern die überlebenden Artgenossen die Olympischen Spiele in ihrem ungestörten Fortgang. 15 Elche bekommen deshalb auch in Kvitfjell eine Spezialbehandlung. Gratis. Unbestätigten Meldungen zufolge handelt es sich um diejenigen, die die interne Elch-Olympianorm bereits passiert haben. Zur Belohnung tischen ihnen die Veranstalter der alpinen Abfahrt extra große Portionen Futter auf – nur um sie von der ursprünglichen Idee, im Zielraum die Ortliebs, Aamodts, Girardellis zur Medaille zu beglückwünschen, abzulenken. Man bemüht sich, das „Elch-Problem“ im Griff zu behalten. Sollte sich das Olympiafieber unter den Vierbeinern ausbreiten, müßte das LOOC mindestens einen „Spezialbevollmächtigten Tier“ einsetzen.

Es ist nicht so, daß sich kein Widerstand gegen die Spiele der Elche formiert hätte. Aber mancher Elch erlegt sich auf den Eisenbahnschienen einfach selbst. „Die Lokführer tragen Waffen und schießen, sobald sie einen Elch erblicken“, erzählt Eva Hjeltberg aus dem wilden Nor-Westen, als ob sie über den Klöppelkurs der Großmutter plauderte. Ja, die Norwegerin pflegt einen durchaus natürlichen Umgang mit der Natur. „Oh, wir sehen Elche sonntags beim Spaziergang in den Wäldern.“

„It's a non-problem“, heißt es auch vom Olympischen Organisationskomitee. Eva Hjeltberg, mit Gespür für Pragmatik, empfiehlt: „Meide Elch samt Elchin, wenn sie Kälber haben!“ Da sich der Familiennachwuchs ohnehin nur im Frühjahr einzustellen beliebt, besteht eigentlich keine Gefahr. Viel dringlicher ist die Frage, was passiert, wenn der Goldrush die Elche weiter in Bann hält?

Helicopter-Spähtrupps kontrollieren Tag und Nacht die Route von Oslo nach Lillehammer. Zäune, die menschliche Gegner der Tierolympiade an der Hauptverkehrsstraße E6 hochgezogen haben, behindern Elche im Fortgang ihrer Qualifikations-Wettbewerbe. Und militante Anti-Elch- Olympics – man munkelt, sie kämen aus der autonomen Szene mit guten Kontakten nach Berlin – führen den Elch auf perfide Art und Weise an der Nase herum. Rund um die Wettkampfstätten wurden Pfade mit eigenwilligem Parfüm gelegt – die besondere Note stammt aus dem Urin des Wolfes, der nicht gerade zu den natürlichen Freunden des Elches gehört. Jetzt bleibt nur noch eine Frage, die in Lillehammer keiner beantworten wollte: Wie wird der kostbare Stoff eingefangen? Reicht die Menge der elchabweisenden Duftstoffe? Und schließlich: Sind vielleicht bei den Olympischen Spielen noch weitere tierische Vorstöße zu erwarten – etwa des Eisbären?

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