Ohne Hilfe nicht mehr zu retten

Rumäniens Wirtschaft versinkt in Chaos / Regierung vereinbart Memorandum mit dem IWF, um an weitere Kredite zu kommen  ■ Aus Bukarest Keno Verseck

„Für die Reform ist das Jahr 1993 ein verlorenes Jahr.“ Es war keine tiefe Wahrheit, die Mircea Coșea vergangenen Dezember vor dem rumänischen Parlament äußerte. Trotzdem wurde die Bemerkung des Reformministers von der Presse enthusiastisch aufgenommen. Denn zum ersten Mal hatte ein Regierungsmitglied ein so deutliches Eingeständnis gemacht.

Rumäniens Wirtschaft versinkt in Chaos und Inkompetenz. Die Gewerkschaften haben in den vergangenen Monaten zahlreiche große Streiks geführt, Bauern revoltieren. Öffentliche Dienstleistungen funktionieren nur noch auf Notniveau oder gar nicht mehr. Die Korruption hat alle sozialen Bereiche erfaßt. Drei Minister und weitere hohe Staatsfunktionäre sind laut einer Parlamentskommission in Bestechungsaffairen verwickelt – ohne deshalb zurückzutreten.

Öffentlich gibt sich der reformfeindliche Ministerpräsident Nicolae Vacaroiu, anders als Coșea, weiterhin optimistisch. Nach anderthalb Jahren Amtszeit scheint jedoch auch er von dringendem Handlungsbedarf überzeugt zu sein. Denn ohne sofortige Maßnahmen und finanzielle Hilfe von außen ist die rumänische Wirtschaft nicht mehr zu retten.

Davon jedenfalls geht ein sogenanntes „Memorandum der Regierung mit dem Internationalen Währungsfonds“ aus, das in der letzten Woche von Abgeordnetenkammer und Senat verabschiedet wurde. Als eine Art kurz- und mittelfristiges Regierungsprogramm konzipiert, sieht es eine wirtschaftliche Austeritätspolitik vor. Die Regierung erklärt darin, mit Hilfe von Sparmaßnahmen die Staatsfinanzen sanieren, die Hyperinflation drastisch senken und die Privatisierung der Staatsunternehmen angehen zu wollen. Das Dokument ist Voraussetzung, um jenes Kreditprogramm wieder aufzunehmen, das vor einem Jahr vom IWF gestoppt worden war.

Dazu, so scheint es im nachhinein, hatte der Währungsfonds allen Grund. Internationale Finanzinstitutionen haben gegenüber der rumänischen Regierung immer wieder guten Willen gezeigt, ohne daß diese sich zu durchgreifenden Wirtschaftsreformen entschlossen hätte. Der größte Teil der Kredite von IWF, Weltbank und den westlichen Industrieländern wurde zweckentfremdet oder verschleudert. Vier Jahre nach dem Sturz des Diktators Ceaușescu befindet sich Rumänien an einem neuen wirtschaftlichen Tiefpunkt – ein Ende der Krise ist nicht abzusehen.

Zwar soll das Bruttosozialprodukt 1993 nach rumänischen Angaben um ein Prozent gestiegen sein, die OECD geht aber von minus vier Prozent aus. Damit liegt es bei rund der Hälfte des Niveaus von 1989. Die Industrieproduktion stagniert. Diesen Zahlen, die Vacaroiu in der Öffentlichkeit gerne als positiv präsentiert, werden allerdings weitaus schlechtere folgen. Denn konsequenter als seine Vorgänger hat er die Notenpresse in Gang gesetzt, Währungsreserven und Kredite für den Import von Energieträgern, Rohstoffen, Getreide und Futtermitteln verwendet anstatt für Reformmaßnahmen. Die Inflation hat 1993 mit über 300 Prozent einen neuen Rekord erreicht.

Die regiernde „Partei der sozialen Demokratie“ des Staatspräsidenten Ion Iliescu war zu den Wahlen im September 1992 mit dem Slogan angetreten, kein Unternehmen werde Bankrott anmelden müssen. Der parteilose Ökonom Vacaroiu – wegen reformfeindlicher Haltung unter der ersten Regierung nach 1989 schon einmal aus dem Wirtschaftsministerium entlassen – hat dieses Versprechen bislang eingehalten. Die Privatisierung wurde gestoppt, direkte Subventionen der maroden Staatsbetriebe durch indirekte ersetzt, ein Bankrottgesetz gibt es nicht.

„Finanzielle Blockade“ nennt Vacaroiu das Ergebnis dieser Politik: Der ungehinderte Zugang der Staatswirtschaft zu Krediten, die gar zu negativen Realzinsen vergeben wurden, hat zu Verschuldungen der Unternehmen in Höhe von mehreren Milliarden Dollar geführt. Der Preis für die Rückkehr zu den alten Prinzipien ist hoch: 40,5 Prozent des Gesamthaushalts entfielen im vergangenen Jahr auf versteckte Subventionen, mit denen die Regierung ihre Staatsunternehmen über Wasser hält. Eine Entwicklung nach russischem Muster könnte mit der Durchsetzung des jetzt verabschiedeten Memorandums verhindert werden.

Rumänien wird nun wohl einen minimalen Sofortkredit vom IWF erhalten. Gleichzeitig ist der Weg für neue Kredite von anderer Seite wieder offen. Der Währungsfonds wird in kurzen Abständen überprüfen, ob die geplanten Maßnahmen zu den anvisierten Ergebnissen führen. Sollte das nicht der Fall sein, wird er sein Kreditprogramm erneut aussetzen. – Ob der politische Wille, dessen es zur Verwirklichung des Memorandums bedarf, tatsächlich aufgebracht wird, ist fraglich. Die Regierung hat allzuoft bewiesen, daß sie ihre Versprechungen nicht einhält. Das trifft genauso auf die Parlamentsmehrheit zu. Auch die Parteien der demokratischen Opposition haben nur widersprüchliche ökonomische Konzepte anzubieten, die restriktive Finanzpolitik, Investitions- und Sozialprogramme gleichzeitig vorsehen. All das veranlaßte den Kommentator einer Bukarester Zeitung zu der Frage: „Haben wir, wie so oft, das eine unterschrieben und werden nun das andere machen?“